Interview

2002/03 Sahra Wagenknecht (PDS) über die rot-rote Koalition in Berlin

»Die PDS hat eine gute Substanz«

Die einen jubeln, die anderen bleiben skeptisch. Auch in der PDS ist die Beteiligung an der Berliner Landesregierung nicht unumstritten. Eine der heftigsten KritikerInnen der Koalitionsvereinbarungen zwischen der SPD und der PDS ist Sahra Wagenknecht. Sie gehört dem Parteivorstand der PDS an und ist Mitglied der Kommunistischen Plattform.

2002/02 Franko Petri und Erwin Mayer von Greenpeace Österreich

»Opposition gegen das Volksbegehren«

Volle Leistung in Temelin. Die tschechischen Behörden haben in der vergangenen Woche angekündigt, die Kapazität des umstrittenen Atomkraftwerkes künftig in vollem Umfang nutzen zu wollen. In Österreich findet Mitte Januar ein Volksbegehren der Freiheitlichen Partei (FPÖ) gegen das AKW statt, das ein Veto Österreichs gegen den EU-Beitritt des Nachbarlandes zur Folge haben könnte.

2002/01 David Gall von Hagalil zum Rechtsextremismus im Internet

»Mit hundert Seiten gegen eine Naziseite«

Zum Jahreswechsel warnte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, vor einem stärker werdenden Antisemitismus in Deutschland. Es gebe keinen Grund zur Zufriedenheit, auch unter den gesellschaftlichen Eliten greife der Antisemitismus um sich.

Ein wichtiges Medium zur Verbreitung judenfeindlicher Propaganda ist das Internet. Die Betreiber der jüdischen Online-Seite Hagalil.com versuchen, dem entgegenzutreten. Seit 1995 im Netz, bietet Hagalil umfassende Informationen über das jüdische Leben in Deutschland, Europa und Israel. Die Seite ist eine der erfolgreichsten Initiativen gegen rechtsextremistische Propaganda im Internet.

2001/51 Der Aktivist Bill Brown über die Videoüberwachung in New York

»Aufpasser und Bullen - fuck them!«

Knapp 3 000 Überwachungskameras hat die amerikanische Bürgerrechtsinitiative American Civil Liberties Union (ACLU) allein in Manhattan gezählt. Dass man in New York inzwischen praktisch auf Schritt und Tritt gefilmt wird, hat Bill Brown so aufgebracht, dass er seinen Job als Lehrer an einem College kündigte, um sich ganz dem Kampf gegen die um sich greifende Überwachungsmanie widmen zu können. Heute arbeitet er, um Geld zu verdienen, halbtags als Korrektor bei der Werbeagentur McCann; in seiner Freizeit gibt er das anarchistische Fanzine Not bored heraus und organisiert die Inszenierungen der Surveillance Camera Players.

2001/50 Rawa-Mitarbeiterin Shahala zur Lage in Afghanistan

»Die Nordallianz ist keine Verbesserung«

Die Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (Rawa) ist einer größeren Öffentlichkeit erst seit dem Krieg der USA gegen die Taliban bekannt. Doch die Organisation wurde bereits 1977 von einigen Akademikerinnen gegründet, seither kämpft sie für die Rechte der Frauen in Afghanistan. Unter der fundamentalistischen Herrschaft der Taliban konnte die Rawa nur noch im Untergrund agieren. Die Frauen riskierten die Todesstrafe und wurden selbst im Exil von Anhängern der Taliban verfolgt.

Shahala, so ihr Deckname, ist Mitglied der Rawa.

2001/49 Sinan Öztürk über den Arbeitsmarkt und den Gewerkschaftsnachwuchs

»Es trifft immer die Falschen«

Nur noch 3,5 Millionen Arbeitslose bis zum September des nächsten Jahres hatte sich Rot-Grün zum Ziel gesetzt. Doch schon im November machte der Bundeskanzler einen Rückzieher, und am Sonntag bestätigte es auch der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit: Bernhard Jagoda geht für 2002 von durchschnittlich 3,9 Millionen Arbeitslosen aus.

Mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt befasste sich am Wochenende in Berlin auch die Bundesjugendkonferenz des DGB. Sinan Öztürk, 26, ist Vorsitzender des Jugendverbandes der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Er arbeitet als Taucher für das Wasser- und Schiffahrtsamt Schweinfurt.

2001/48 Ole Weidmann zum Prozess wegen Rostock-Lichtenhagen

»Beweise wurden nicht gesichert«

Seit dem 20. November findet vor der Jugendkammer des Landgerichts Schwerin ein Prozess zu den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen statt. Am Abend des 24. August 1992 hatten 500 Naziskinheads die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (Zast) mit Molotow-Cocktails angegriffen und sie in Brand gesetzt. Angeklagt sind nun drei Naziskins aus Schwerin wegen versuchten Mordes, schwerer Brandstiftung, schweren Landfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Ole Weidmann vertritt gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Thomas Herzog den Nebenkläger Nguyen Do Thinh, der in der Brandnacht zu den Angegriffenen gehörte.

2001/47 Der Schriftsteller Wladimir Kaminer über das Leben in Deutschland

»Der Sozialismus beißt nicht«

Eigentlich war es ein Zufall, der Wladimir Kaminer in Berlin landen ließ: Im Sommer 1990 brauchte man kein Visum, um als russischer Jude in Ostberlin einreisen zu können, und die Zugfahrkarte Moskau-Berlin war billig. Kaminer blieb in Berlin hängen. Er besetzte eine Wohnung, holte seine Familie nach, arbeitete in diversen Jobs, bis ihn der Zufall zu einem deutschsprachigen Schriftsteller machte. Mit seinem Buch »Russendisko« wurde er berühmt. Mittlerweile hat er drei Bücher und zwei Literatur-CDs veröffentlicht. Seine skurrilen und tragikomischen Stories erscheinen in fast allen Tageszeitungen.

2001/46 Michael Brenner, Professor für jüdische Geschichte und Kultur

»Ein Gefühl der direkten Bedrohung«

Die Terroranschläge in den USA und in der Folge der Krieg gegen die Taliban haben die Situation in den jüdischen Gemeinden in Deutschland verändert. Jüdische Einrichtungen müssen mit verschärften Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden, während Intellektuelle offen und stärker als je zuvor Israel kritisieren oder gar sein Existenzrecht in Frage stellen. Auch den Umgang mit der deutschen Geschichte könnten die jüngsten Ereignisse beeinflussen. Der Holocaust wird weiter historisiert.

Michael Brenner ist Professor für jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

2001/45 Sven Regener, Musiker und Buchautor, im Gespräch über seinen Roman »Herr Lehmann« und seine Band Element of Crime

»Bin schließlich kein Kleinkünstler«

Es ist eine kleine Welt, die Herr Lehmann bewohnt, der Held des gleichnamigen Romans von Sven Regener. Kreuzberg im Sommer 1989. Drei Kneipen, vier Straßen, fünf Freunde. Alle sind irgendwann einmal aus Westdeutschland nach Kreuzberg gekommen und dann hängen geblieben. Alle arbeiten in irgendwelchen Jobs, sind aber »eigentlich Künstler«. Nur Herr Lehmann nicht, der ist Kellner. Es sind zwanzig Anekdoten, in denen »Herr Lehmann« einen eigenartigen Stillstand protokolliert, ein Gefühl, als sei eine Zeit an ihr Ende gekommen. Sven Regener weiß, wovon er schreibt. Mit seiner Band Element Of Crime ist er genau seit jenen späten Achtzigern der Chronist eines Kreuzberger Lebensgefühls.