Interview

2000/01 Elvira

»Kapitalismus? Keine Zukunft!«

Tolle Aussichten! Den endgültigen Zusammenbruch des Kapitalismus haben die Linken zwar mit schöner Regelmäßigkeit, viel Theorie, aber umso weniger Erfolg prognostiziert, doch im nächsten Millennium wird es wirklich Ernst. Spaß macht auch der Untersuchungsausschuss, Helmut Kohl muss sich keine Sorgen machen. Die Feuerwehr in Bonn allerdings schon.

Bereits mit 20 Jahren empfing die heute 42jährige Elvira Visionen aus der Zukunft. Die Wahrsagerin, die unter dem bürgerlichen Namen Elvira Neske in Berlin lebt, arbeitete als Verkäuferin, bevor sie sich entschloss, hauptberuflich hellzusehen. Für Jungle World hat sie das Pendel bewegt und die Karten befragt.

1999/50 Stefan Keller

»Das Bild der Schweiz bröckelt jetzt«

Die Schweiz wird von ihrer Vergangenheit eingeholt. Ende letzter Woche veröffentlichte eine unabhängige Kommission unter Leitung des Wirtschaftshistorikers Jean-Fran ç ois Bergier ihren Bericht zur Schweizer Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs: Darin wird erneut das Selbstverständnis einer neutralen, unbeteiligten Schweiz während der Nazi-Zeit in Frage gestellt. Entsprechend groß war die Aufregung im Alpenland (siehe auch Seite 14).

Stefan Keller ist Redakteur der Züricher WoZ und Autor des Buches »Grüningers Fall-Geschichten von Flucht und Hilfe«.

1999/49 Eduardo Galeano

»Ein wichtiger Erfolg für die Linke«

Fast hätten sie es geschafft: Nach über 100 Jahren konservativer Herrschaft durchbrach die Frente Amplio (FA-EP/Breite Front - Progressiver Zusammenschluss) das Zweiparteiensystem der Blancos und Colorados und wurde stärkste politische Kraft in Uruguay. Erst bei der Stichwahl unterlag ihr Präsidentschaftskandidat Tabare Vazquez vergangene Woche seinem Kontrahenten, dem konservativen Jorge Battle.
Eduardo Galeano, Journalist und Schriftsteller, wurde in Europa mit seinem Essay »Die offenen Adern Lateinamerikas« bekannt und leitete u.a. die Zeitschrift Crisis in Buenos Aires. Nach dem Militärputsch in Argentinien ging Galeano ins spanische Exil und kehrte 1985 nach Uruguay zurück, wo er seitdem lebt.

1999/48 Heidi Lippmann

"Nein! - egal unter welchem Helm"

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende war der Erste: Auch die PDS, meinte Wolfgang Gehrcke schon während des Kosovo-Krieges, müsse künftig Ja sagen können zu Interventionskräften, die im Auftrag der Uno für Recht und Ordnung sorgen. Wer mitregieren will, muss kämpfen können: Gehrckes Vorstoß hatte Erfolg. Ein halbes Jahr später sind sowohl die Bundestagsfraktion als auch der Parteivorstand auf den Uno-Kampftruppen-Kurs eingeschwenkt. Doch damit nicht genug: Um die Grünen gegebenenfalls ablösen zu können in Berlin, soll im neuen Parteiprogramm die Forderung nach Abschaffung der Nato ersetzt werden durch die nach ihrem Rückbau. Heidi Lippmann, friedens- und abrüstungspolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion.

1999/47 Michel Friedman

"Der öffentliche Druck muss steigen"

Fünf Milliarden Mark vom Bund und drei Milliarden von der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft - so sieht das letzte Angebot Deutschlands aus, um einen Teil der Zwangsarbeiter im deutschen Nationalsozialismus abzufertigen. Innerhalb der nächsten Wochen sollen die Verhandlungen fortgeführt und zum Abschluss gebracht werden. Dabei gelte ein "Schulterschluss" zwischen der deutschen Witschaft und der Bundesregierung, erklärte letzte Woche der Beauftragte der Bundesregierung, Otto Graf Lambsdorff: Nur so könne ein höherer Anteil der Firmen an der Entschädigungssumme abgeblockt werden.

Michel Friedman, Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland.

1999/46 Howard Carpendale

"In Amerika sind die Vibrations echt positiv"

Während einer unglaublich schlecht ausgeleuchteten ZDF-Hitparade telefonierte er mit seiner verschollen geglaubten Mutter in Südafrika. Für eine Boulevard-Zeitung ließ er eine komplette Saudi-Arabien-Reise durchfotografieren - er selbst immer im Bild, verkleidet als greller Scheich. Und was kommt jetzt? Nach sieben Jahren Miami Beach hört sich Howard Carpendale ein ganz klein bisschen an wie Marius Müller Westernhagen auf Melatonin. Wer sie aber immer noch sucht, die Spuren im Sand, der findet einen Mann, dem Golf wichtiger ist als Gott. Im Wandelgang des Zwiegesprächs verrät Howard Carpendale sein letztes Geheimnis.

1999/45 Jutta Ditfurth

»Ich bekämpfe den Kapitalismus trotzdem«

Nicht Focus, nicht stern, auch nicht UZ oder Soz. Für ihre Abrechnung mit Joseph Fischer hat sich Jutta Ditfurth einen ungewöhnlichen Ort ausgesucht: die Neue Revue. Am 14. Oktober war "Zahltag". Seitdem werden die an Sex & Crime gewöhnten Leser der Neuen Revue über Geschichte, Strategie und Machenschaften der Grünen informiert. Liegt die Zukunft der linken Publizistik im Bauer-Verlag?

1999/44 Julius H. Schoeps

"Die Täter kommen aus allen Schichten"

Am "Tag der Deutschen Einheit" leisten bisher Unbekannte ihren Beitrag zur neuen Berliner Republik: Sie stürzen 103 Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee um. Eine Woche später werden zwei Brandsätze auf dem Friedhof gefunden. Die Täter: "unbekannt". Mitte Oktober werden auf den jüdischen Friedhöfen von Weitersburg und Bendorf in Rheinland-Pfalz 45 Gräber geschändet. Ausnahmsweise können die potenziellen Täter ermittelt werden. 55 als antisemitisch eingeordnete Fälle von "Störung der Friedhofsruhe" meldet die Kriminalitätsstatistik im vergangenen Jahr. In den ersten sechs Monaten 1999 werden 20 Fälle registriert, in fünfen die Täter ermittelt. Seit Jahren untersucht Julius H. Schoeps, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam, antisemitische Straftaten.

1999/43 Gian Trepp

»Die Schweiz war schon immer rechts«

Erst Österreich, nun die Schweiz. Bei den Wahlen zum Nationalrat am vergangenen Sonntag gab es nur einen großen Gewinner: Den Rechtspopulisten Christoph Blocher samt seiner nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Selbst ein jüngst veröffentlichter Brief Blochers, in dem er die Arbeit eines Holocaust-Leugners lobte (Jungle World, 43/99), konnte dem Milliardär nichts anhaben. Im Gegenteil: Die EU-feindliche SVP gewann mehr als sechs Prozent an Wählerstimmen hinzu und wird im neuen Parlament künftig 44 statt 29 Sitze einnehmen.

1999/42 Hamid Lounaouci und Mohammed Mekhaneg

»Zum inneren Frieden zurückkehren«

Seit dem Referendum vom 16. September, mit dem das Gesetz zur (bedingten) Amnestie für islamistische Terroristen von der Bevölkerung abgesegnet wurde, wartet Algerien auf die Bildung einer neuen Regierung. Diese wird vermutlich aus einer sehr breiten Koalition bestehen, die den neuen starken Mann, Präsident Abdelaziz Bouteflika, stützen soll. Erwartet wird, dass die Koalition die gemäßigten legalen islamistischen Parteien Ennahda und Hamas, die bereits an der bisherigen Regierungskoalition beteiligt waren, die ehemaligen Staatsparteien RND und FLN und den laizistisch-anti-islamistischen RCD (Sammlung für Kultur und Demokratie) umfasst.