Interview

1999/39 Daniel Bahr

»Mein Traum wäre Winzer in Italien«

Daniel Bahr ist seit April dieses Jahres Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen, der Jugendorganisation der FDP. Der 22jährige ist Förderstudent der Dresdner Bank - und paukt an der Uni Münster Volkswirtschaftslehre. Auf sein Drängen hin machten die Münsteraner Julis Bahrs Lieblings-Hangout - "eine ehemalige RAF-Kneipe" - zu ihrem Polit-Treffpunkt. Das "Café Madig", findet der Jungliberale, ist nämlich einfach eine nette Kneipe, und Jungle World gibt's dort auch. Politische Beziehungen zur RAF hatte Bahr zwar nie, findet aber, daß dies "mit Sicherheit auch eine interessante Erfahrung gewesen" wäre.

1999/37 Jerzy Urban

"Viele saßen rittlings auf der Barrikade"

Der Journalist Jerzy Urban war von 1984 bis 1989 Regierungssprecher der polnischen Regierung. Von seinen Gegnern als "Jaruzelskis Hupe" beschimpft, gehörte der sarkastische Mann im Ministerrang zu den meistgehaßten Männern Polens, obwohl oder gerade weil er seine intellektuelle Unabhängigkeit auch gegen die kommunistische Partei PVAP und die Regierung behauptete. So z. B. 1989, als er das sozialistische Bruderland im Osten düpierte und, entgegen der offiziellen Geschichtsschreibung, den sowjetischen NKWD für die bis dahin den Nazis zugeschriebenen Massaker von Katy«n verantwortlich machte.

Mit der 1990 gegründeten politisch-satirischen Wochenzeitung Nie ("Nein"), die keinem Streit, vor allem mit der katholischen Kirche und Solidarnos«c«, aus dem Wege geht, gelang es ihm, seinen schlechten Ruf wiederherzustellen und sich - wie die Berliner Zeitung recherchierte - einen Porsche zuzulegen.

1999/36 Bert Papenfuß

»Weimar ist ein Unort«

Einen "Wermutstropfen in der freudigen Stimmung" nannte die Pressesprecherin der Stadt Weimar den Überfall, bei dem der Berliner Schriftsteller Bert Papenfuß und drei seiner Kollegen in der Nacht nach Goethes 250. Geburtstag von rechten Schlägern verprügelt wurden.

Der Ostberliner Papenfuß ist Lyriker (u.a. "SBZ - Land und Leute. Gedichte", 1998). Für seine Arbeiten wurde er 1998 mit dem Erich-Fried-Preis ausgezeichnet. Er war Herausgeber der Zeitschrift Sklaven, die an ein gleichnamiges Projekt des Schriftstellers Franz Jung aus den Zwanzigern anknüpfte, und ihrer Abspaltung Sklaven Aufstand. Diese publizistische Arbeit wird im Herbst mit einer neuen Zeitschrift, dem Gegner, fortgesetzt.

1999/34 Maciej Tuafuy

"Was ich will, das schaffe ich auch"

Maciej Tuafuy ist 20 Jahre alt und Auszubildender in Szczecin. In den Ferien arbeitet er im polnischen Ostseebad Pobierowo, so etwas wie dem polnischen Mallorca. - Jungle World traf ihn auf der Mutter aller Straßen, der ulica Grunwaldzka, im Alternative Club, dem lokalen Abiturienten-Hang-out, wo von den Doors bis Nirvana das international gültige Langhaarigen-Programm gespielt wird.

1999/33

Ich will mich selbst überraschen

Der 1930 in Paris geborene Chabrol zählt zu den Begründern der Nouvelle Vague. In seinen Filmen - u.a. "Schrei, wenn du kannst" (1959), "Die Unbefriedigten", (1959/1960), "Der zehnte Tag" (1971), "Die Phantome des Hutmachers" (1982) u.a. - studiert Chabrol die Alltagspathologie des Bürgertums.

Sein neuester Film "Die Farbe der Lüge", der gerade in Deutschland angelaufen ist, führt in eine bretonische Kleinstadt, in dem ein 11jähriges Mädchen mißbraucht und erdrosselt aufgefunden wird. Die Provinzler haben sich schnell auf einen Verdächtigen geeinigt.

"Die Farbe der Lüge" ist Chabrols 51. Regiearbeit.

1999/32 René Talbot

»Die NS-Psychiatrie wird aufgewertet«

René Talbot ist Pressesprecher des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener in Deutschland. Er gehört dem Vorstand des Landesverbandes Berlin-Brandenburg an und zählt zu den Koordinatoren der dreitägigen Gegenveranstaltungen zum 11. Weltkongreß für Psychiatrie, der vom 6. bis zum 11. August 1999 in Hamburg stattfand.

1999/31

»Ich bin Antimilitaristin«

Dem Krieg voraus ging seine Verschleierung: Als "Pazifismus unter den aktuellen Bedingungen" bezeichnete im Oktober 1998 die damalige Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Heide Rühle, die Drohung der Nato, Jugoslawien zu bombardieren. Keinen Monat später waren die ersten Bundeswehrsoldaten in Mazedonien stationiert - allerdings nicht zur Evakuierung der 2000 OSZE-Beobachter im Kosovo, wie die Grünen behaupteten, sondern zum Einmarsch in die Provinz, wie sich spätestens nach Beginn der Nato-Angriffe im März herausstellte. Auf ihrem Parteitag in Bielefeld billigten die Grünen im Mai die Militärschläge gegen Jugoslawien. Angelika Beer ist Verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion.

1999/30 Heiko Kauffmann

»Schily ist nicht Kanther«

"Aufbruch und Erneuerung" hatten SPD und Grüne ihren Koalitionsvertrag betitelt, "Aufbruch und Erneuerung" versprach die neue Regierung auch in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik. Ließ schon der Koalitionsvertrag Schlimmes befürchten, ist seit der Machtübernahme von Rot-Grün auf diesem Gebiet vor allem eines angesagt: Kontinuität zur Politik von Ex-Innenminister Manfred Kanther (CDU). So wartet eine Altfallregelung für ImmigrantInnen, die schon seit Jahren in Deutschland leben, weiterhin auf ihre Umsetzung, und auch die frauenspezifische Verfolgung fehlt noch immer auf der Liste der Asylgründe. Was von der vielbeschworenen Betonung der Menschenrechte in der deutschen Außenpolitik zu halten ist, machte Rot-Grün mit dem Krieg gegen Jugoslawien deutlich. Heiko Kauffmann ist Sprecher von Pro Asyl.