Suchergebnisse

Kein Abschiebestopp für Jesiden: “Von gebrochenen Versprechen und geplatzten Träumen“

IDP Camp für Jesiden bei Dohuk, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Trotz Forderungen von Menschenrechtsorganisationen und einigen Bundesländern: Es wird keinen Abschiebestopp für Jesiden aus dem Irak geben.

 

Auf der Konferenz der Innenminister, die vom 19. Bis 21. Juni in Potsdam stattfand, sind nun auch die letzten Hoffnungen der Jesiden- wie eine Seifenblase – zerplatzt.

Die Hoffnung endlich in einer neuen Heimat angekommen zu sein, endlich irgendwo dazu gehören zu dürfen. Deutschland und die Jesiden, es hätte die Substanz zu einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte: Auf der einen Seite ein Land, dass einst selbst für das größte Verbrechen, dass je an Menschen verübt wurde, den Holocaust als Täter steht. Ein Land, dass den Genozid durch den Islamischen Staat (IS) an den Jesiden im Parlament einstimmig anerkannt hat. Auf der anderen Seite ein Volk, dass seit über 1.000 Jahren unter ständiger Verfolgung leidet. 

 

Daher waren die Jesiden glücklich in einem Land leben zu dürfen, dass es ihnen erlaubt den eignen Glauben zelebrieren zu dürfen, wo es möglich war die eigene Sprache zu sprechen und wo ein gleichberechtigtes Leben – mit allen Rechten und Pflichten möglich schien.

Vollmundige Versprechungen

Mit den vollmundigen Versprechen, die die Bundestagsabgeordneten im Januar 2023 gaben, schien einer gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Weg zu stehen. „Wenn der IS Euch Eure Welt im Irak und Syrien genommen hat, so geben wir Euch die unsere“ sprach Dr. Jonas Geisler (CSU) das aus, was sich die Jesiden so sehr erhofften. Die Außenministerin Annalena Baerbock verkündete „Wir konnten den Genozid nicht verhindern, aber wir werden verhindern, dass es sich jemals wiederholt“ und fügte hinzu „Nicht nur das Parlament hat den Genozid anerkannt, Deutschland erkennt den Völkermord an den Jesiden an Das drohende Unheil, dass durch ein Urteil des OVG Lüneburg von 2019 wie ein Damokles Schwert über der Zukunft der Jesiden hing, wollte keiner der beteiligten MDBs und auch die jesidischen Verbände und Vereine sehen. Das Gericht hatte, als höchste Instanz, geurteilt; es gibt keine Gruppenverfolgung für Jesiden mehr im Irak. Dies hatte zur Folge, dass die Anerkennung der Jesiden als Flüchtlinge seit 2019 kontinuierlich abnahm. 

Mühsam behandelte Traumata brechen wieder auf. 

Mit der mündlich geschlossenen Vereinbarung des Irak mit Joachim Stamp, (Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen) nahm das Unheil seinen Lauf. Stamp, ehemaliger Minister in NRW sprach zwar mit der Zentralregierung in Bagdad, sowie der autonomen kurdischen Regionalregierung in Erbil, über Rückführungen. Den Weg zu den Jesiden um sich dort über die Lebensumstände zu informieren, fand er aber nicht. Während in Bagdad und Erbil positiv auf die Rückführungen reagiert wurde, im Gegenzug gibt es immerhin auch entsprechende finanzielle Unterstützung für Zukunftsprojekte, haben sich sowohl das weltliche als auch das religiöse Oberhaupt gegen Abschiebungen aus gesprochen. Das Credo vom Prinz Mir Hazem und dem Heiligen Vater der Jesiden Baba Shaekh Ali lautet „ Wer in Europa bleiben möchte soll bleiben dürfen, wer in die Heimat zurückkehren will soll dabei entsprechende Unterstützung erhalten“.in Ansatz, der sicherlich nicht nur mir gefällt, weil er auf die Bedürfnisse der Jesiden eingeht. Eine Rückkehr ist de facto nicht möglich, weil der versprochene Wiederaufbau des Hauptsiedlungsgebietes der Jesiden im Shingal, noch nicht einmal richtig begonnen wurde.

30.000 Betroffene

Seit Sommer 2023 begann Deutschland dann damit die Jesiden die nur eine Duldung haben wieder in den Irak abzuschieben. Rund 30.000 Jesiden haben kein Asyl, die Zahl mag klein erscheinen, aber es sind rund 10% aller Jesiden in Deutschland betroffen. Es gibt daher keine Familie die nicht direkt betroffen ist oder zumindest im engsten Freundeskreis derartige Fälle hat. IN Deutschland leben derzeit noch 300.000 Jesiden, es ist die größte Diasporagemeinde und die zweitgrößte Community der Jesiden weltweit. Und so brechen gerade wieder mühsam behandelte Traumata wieder auf. Die IS Überlebende Samira Al Silo brachte es anlässlich der IMK auf den Punkt. „Niemand wird mich zurück in den Irak bringen. Vorher beende ich mein Leben“. So wie Samira denken viele, die dem IS entkommen konnten, zuvor aber das schlimmste erleiden mussten was Frauen überhaupt passieren kann. Zigfache Vergewaltigungen, selbst bei 9jährigen Mädchen waren beim IS an der Tagesordnung. Die Täter von damals leben noch immer im Irak. Mag der IS militärisch auch besiegt sein, in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft ist vieles was die Bestien getan haben aber bis heute richtig. Die kurdische Regierung warnt zudem, dass der IS wieder erstarkt. 

Worthülsen

Nach Ansicht der Bundesregierung gibt scheinbar keine große Gefahr für die Jesiden in der alten Heimat. Nur so ist zu erklären, dass es bis heute kein nationales Abschiebeverbot gibt. Mehrere Länder haben ein solches erlassen, es hat aber nur für maximal 6 Monate Bestand, ist in NRW schon ausgelaufen. Alle Versuche der niedersächsischen Landesregierung eine einheitliches Vorgehen der Länder zu organisieren scheiterte an der Weigerung Bayerns und Brandenburgs. Bayern, dessen MDB Geisler den Jesiden eine neue Welt versprach und Brandenburg die einst selbst ein eigenes Landesaufnahmeprogramm auf den Weg brachten In vielen Einzelgesprächen wurde uns Aktivisten immer wieder versichert, dass niemand Jesiden abschieben wolle (ausgenommen bei schweren Straftaten oder der Identitätsverschleierung). Vom BMI über das AA bis zum Sonderbevollmächtigten und fast allen Bundesländern gab es diese Versicherung. Wenn dies mehr als leere Worthülsen sind, dann ist eine Einigung möglich. 

 

Wenn nicht, dann sollten die MDBs – die von ihren Landesregierungen vorgeführt werden, die damalige Genozid Anerkennung zurücknehmen.

 

Für die Jesiden ist seit vergangener Woche klar; es gibt keine neue Heimat, es gibt keine sichere Zukunft. Egal ob gut ausgebildet, in sogenannten Mangelberufen unterwegs oder mit kranken Familienangehörigen in Deutschland, kein Geduldeter ist vor der Abschiebung sicher.

 

Die einen weinen echte Tränen der Trauer auf der anderen Seite gibt es ein paar Krokodilstränen- Die jeweilige Opposition in Bund und Land echauffiert sich, aber dies ist kein Thema für Wahlkämpfe. Es geht um Leben und Tod, es geht um eine Zukunft für ein Volk, dass glaubte endlich angekommen zu sein.

 

Egal ob Saira oder eine andere junge Frau, sobald wir das erste Suizidopfer zu beklagen haben, wird die Frage nach dem „warum“ sehr laut erschallen. Wie sagt der Kindermund so schön „Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen“. 

Vielleicht sollten sich die Politiker daran erinnern, wenn sie das nächste Mal in den Spiegel schauen.

 

Siehe auch: Zehn Jahre nach dem Völkermord: Zur Lage der Jesidinnen und Jesiden im Irak
 

Großdemonstration: Abschiebestopp für Jesiden in Deutschland am 20. Juni in Potsdam

Wir möchten Sie herzlich dazu einladen, an unserer bevorstehende Großdemonstration vor der Innenministerkonferenz in Potsdam teilzunehmen und über sie zu berichten.

Unsere Demonstration steht unter dem Motto: **“Abschiebestopp für Jesiden in Deutschland!“**

 

Der Deutsche Bundestag erkannte ebenso wie elf andere Parlamente und die britische Regierung den Völkermord an den Jesiden an. In diesem Anerkennungsbeschluss hat Deutschland den jesidischen Überlebenden eines Völkermords das Versprechen gegeben, weiterhin Schutz zu gewähren (siehe Punkt 19 des Beschlusses).

Trotz dieser Anerkennung schiebt Deutschland seit fast einem Jahr Jesiden in ihren früheren Verfolgerstaat Irak ab. Die prekäre Situation wird durch die Tatsache verschärft, dass immer noch mindestens 150.000 Jesiden in Zeltlagern leben und die Region Sinjar von mehreren Milizen besetzt ist. Im Jahr 2014 hat der IS jesidische Familien auseinandergerissen und am 20.11.2023 hat Deutschland ebenfalls jesidische Familien auseinandergerissen.

Wir möchten auf die prekäre Lage der Jesiden im Irak nach knapp 10 Jahren Völkermord und die seit Monaten bestehende Angst jesidischer Flüchtlinge vor einer Abschiebung aufmerksam machen. Aus diesem Grund fordern wir einen bundesweiten sofortigen Abschiebestopp. Ihre Teilnahme und/oder Berichterstattung kann dazu beitragen, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und politischen Druck auszuüben.

Datum: 20. Juni 2024

Zeit: Beginn um 10:00 Uhr

Ort: Jägerallee 22, 14469 Potsdam, in unmittelbarer Nähe der Innenministerkonferenz.

 

Zu dieser Veranstaltung sind folgende demokratische Personen und

Gruppen eingeladen:

  • Organisationen
  • Vereine
  • Bundestagsabgeordnete
  • Landtagsabgeordnete
  • Kirchenvertreter
  • Menschenrechtler
  • Jüdische Völkermord-Zeitzeugen
  • Jesidische Völkermord-Zeitzeugen
  • Weitere Interessierte

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Wir freuen uns über Ihr Interesse und Ihre Unterstützung.

Mit freundlichen Grüßen

Organisationsteam E-Mail: dilshadido3@gmail.com oder abschiebe.stopp@gmail.com

VISDP: Delshad Ido Handynummer: 0173 9094398

Ein Yezide im Shinjal Gebirge, Juni 2019
2024/19 Ausland Zehn Jahre nach dem Völkermord ist die Situation der Yezid:innen im Irak miserabel

Zwischen den Fronten

Ein Gutachten der NGOs Pro Asyl und Wadi über die Lage der Yezid:innen im Irak stellt die miserablen Lebensbedingungen dar, unter denen sie zehn Jahre nach dem Völkermord durch den »Islamischen Staat« leben. Zudem fordert es einen generellen Abschiebestopp in den Irak.

Über das Schicksal der Jesiden „Völkermod, Vertreibung, Abschiebung“

Am Dienstag den 19.3 laden der Niedersächsische Flüchtlingsrat, Pro Asyl und Wadi zu einer Veranstaltung über die Lage der Jesiden im Irak zehn Jahre nach dem Völkermord und Abschiebungen aus Deutschland nach Hannover ein.

 

Auch an dieser Stelle wurde schon mehrfach darüber berichtet, dass seit einiger Zeit Jesidinnen und Jesiden in den Irak abgeschoben werden.

Dazu hieß es in einer Petition an den Bundestag:

Traumatisierte Menschen werden zurück in das Land der Täter geschickt. Ihre Brüder und Schwestern hausen noch immer in völlig unzureichend ausgestatteten und überfüllten Flüchtlingslagern, es gibt derzeit keinen Platz im Irak, wo diese Menschen leben könnten. Der auch von der Bundesregierung zugesicherte Wiederaufbau des Shingal , dem Ursprungsgebiet der Jesiden, hat noch nicht einmal begonnen und erst vor wenigen Tagen wurde hier wieder eine vielköpfige jesidische Familie ermordet. Ein aus Deutschland abgeschobener Jeside verstarb keine 48 Stunden nach seiner Rückkehr auf offener Straße in Erbil.

Die offenkundig geplante und koordinierte Durchführung dieser Abschiebungen aus fast allen Bundesländern überrascht umso mehr, da es sich fast ausschließlich um inzwischen gut integrierte Menschen handelt. Diese sind berufstätig, gehen zur Schule oder sollen als Einzelpersonen aus dem Familienverbund gerissen werden.

Am Dienstag wird die jesidische Aktivistin Basma Hiji Khider über die aktuelle Lage im Irak berichten und Oliver M. Piecha ein Gutachten präsentieren, das von Wadi und Pro Asyl in Reaktion auf die Aufhebung des bundesweiten Abschiebestopps verfasst wurde. 

Die Veranstaltung findet um f statt.

 

Offener Brief: Abschiebung von Jesidinnen und Jesiden sofort stoppen

Tausende von Jesidinnen und Jesiden in Deutschland sind von Abschiebung in den Irak bedroht. Dieser offene Brief an alle Mitglieder des Deutschen Bundestags fordert einen sofortigen Abschiebestopp. Er wurde auch auf Change.org veröffentlicht und ich bitte um viele weitere Unterschriften.

 

Offener Brief an die MDB`s: Abschiebung von Jesidinnen und Jesiden sofort stoppen und eine Fortsetzung des Völkermords verhindern.

 

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

mit diesem Brief wenden wir uns an Sie, da uns täglich neue Mitteilungen über Abschiebungen von Jesidinnen und Jesiden und viele verzweifelte Hilferufe erreichen.

Vor nicht einmal einem Jahr, am 19. Januar 2023, haben Sie alle – einstimmig, ohne jeglichen Fraktionszwang und nur Ihrem Gewissen verpflichtet –– für die “Anerkennung des Völkermordes an den Jesiden” gestimmt (Drucksache 20/5228). Damit haben Sie Hoffnungen und Erwartungen bei Menschen geweckt, die vor Tod und Unterdrückung geflohen sind und in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Menschen, die sich auf die Umsetzung starker Aussagen verlassen haben.

Wir möchten Sie an die damalige Bundestagssitzung und einiger der vielen unterstützenden Wortmeldungen erinnern:

Der CSU-Abgeordnete Dr. Jonas Geissler sprach von Deutschland als der zweiten Heimat für die Jesidinnen und Jesiden. In Richtung der IS-Täter sagte er:

»Wenn Ihr ihnen Eure Welt nehmen wolltet, so geben wir ihnen die unsere.«

Der Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Max Lucks sagte:

»In Deutschland lebt die größte jesidische Diaspora. Das verpflichtet uns als Bundestag aktiv zu werden. Erlebte Traumata, die stetige Angst nicht in Sicherheit zu leben, das Gefühl, dass die Welt nicht auf die humanitäre Lage der Jesid*innen schaut – mit unserer Initiative möchten wir genau hierunter einen Schlussstrich ziehen.«

Auch die SPD-Abgeordnete Anika Klose betonte, dass der Bundestag nun dafür sorge, dass das Geschehene nie wieder geschehen kann und betonte

»Wir gehen den schweren Weg gemeinsam.«

Der Abgeordnete der FDP Peter Heidt (FDP) erklärte,

»dass es darum gehe einem geschundenen Volk zu helfen und der geschundenen jesidischen Gemeinschaft in der größten Diasporagemeinde ein Leben ohne Diskriminierung zu ermöglichen.«

Michael Brandt, Abgeordneter der CDU, betonte damals,

»dass der Bundestag ganz bewusst die Verpflichtung eingehe dem jesidischen Volk zur Seite zu stehen – auf allen Ebenen und auf Dauer«.

Alle Fraktionen betonten die besondere Schutzbedürftigkeit der Jesidinnen und Jesiden.

Die abschließende Aussage von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock machte die Bedeutung und die Tragweite der Anerkennung sichtbar:

»Der Parlamentsbeschluss steht stellvertretend für das ganze Land. Deutschland erkennt den Völkermord an den Jesiden an.«

An der Seite der Jesiden

Damit stellte sich Deutschland unverrückbar an die Seite der Jesidinnen und Jesiden. Entrechteten und gedemütigten Menschen, die alle, in ihren, Familien Morde, Zwangskonvertierungen, Geiselnahme und zigfache Vergewaltigungen an engsten Verwandten erleben mussten, gab es die Gewissheit, ein neues Leben beginnen zu können, mit allen Rechten und Pflichten, ein gerechtes Leben in der neuen Heimat.

Diese Gewissheit wird durch die nunmehr durchgeführten und weiter geplanten Abschiebungen in das Gegenteil verkehrt. Den Jesiden droht durch die Rückkehr die Fortsetzung des Völkermordes.

Lassen Sie nicht zu, dass der sogenannte “Islamische Staat” am Ende doch noch siegt. Zeigen Sie, dass Deutschland fest an der Seite der Opfer steht und füllen Sie das vielzitierte »Nie wieder« mit Leben.

Die jesidische Gemeinschaft, die gerade erst anfängt, zumindest in der Diaspora ihr Trauma aufzuarbeiten, ist durch die jüngsten Abschiebungen zutiefst verunsichert. Fast alle Bundesländer schieben »geduldete« Jesidinnen und Jesiden wieder vermehrt in das Herkunftsland Irak ab. Diese Abschiebungen widersprechen dem Ansinnen ihres Beschlusses vom Januar und auch der von der Innenministerkonferenz getroffenen Vereinbarung von 2019, Jesidinnen und Jesiden nur bei Vorliegen schwerer Straftaten in den Irak abzuschieben.

Zurück ins Land der Täter?

So werden traumatisierte Menschen zurück in das Land der Täter geschickt. Ihre Brüder und Schwestern hausen noch immer in völlig unzureichend ausgestatteten und überfüllten Flüchtlingslagern, es gibt derzeit keinen Platz im Irak, wo diese Menschen leben könnten. Der auch von der Bundesregierung zugesicherte Wiederaufbau des Shingal , dem Ursprungsgebiet der Jesiden, hat noch nicht einmal begonnen und erst vor wenigen Tagen wurde hier wieder eine vielköpfige jesidische Familie ermordet. Ein aus Deutschland abgeschobener Jeside verstarb keine 48 Stunden nach seiner Rückkehr auf offener Straße in Erbil.

Die offenkundig geplante und koordinierte Durchführung dieser Abschiebungen aus fast allen Bundesländern überrascht umso mehr, da es sich fast ausschließlich um inzwischen gut integrierte Menschen handelt. Diese sind berufstätig, gehen zur Schule oder sollen als Einzelpersonen aus dem Familienverbund gerissen werden.

Zwei Einzelfälle:

Eine junge Jesidin darf mit 17 Jahren ihrer Familie nach Deutschland folgen. Vier Jahre später hat sie ein einjähriges Kind und ist als Volljährige ein eigenständiger Asylfall. Ihr Aufenthaltsrecht wird widerrufen, da sie wegen des Kindes keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen kann. Sie muss mit dem Kleinkind zurück in das Land der Täter. Der Rest ihrer Familie darf bleiben, wohl wissend, dass die Tochter und Schwester sowie das Enkelkind im Irak kaum Überlebenschancen haben.

Dies haben Sie mit Ihrer Abstimmung im Januar sicher nicht bezweckt: die Jesidinnen und Jesiden als Opfer eines Völkermordes anzuerkennen, um sie postwendend in das Land des Völkermordes zurückzuschieben.

Ein junger Mann war in den letzten vier Jahren 36 Monate berufstätig. Während der auf die Corona-Krise folgenden Rezession verlor er seinen Arbeitsplatz, besorgte sich eigenständig einen neuen Job und vereinbarte einen Termin bei der Ausländerbehörde, um seine Arbeitserlaubnis zu verlängern. Als er diese betrat, erwartete ihn statt der Genehmigung die Polizei, um ihn in Abschiebegewahrsam zu nehmen.

Niedersachsen macht es anders

Dabei zeigt vor allem ein Bundesland , dass es auch anders geht: Niedersachsen bleibt seiner Linie treu, dass Jesidinnen und Jesiden nur abgeschoben werden, wenn eine schwere Straftat begangen wurde. Hier ist die Rede von der neuen Heimat noch mit Leben gefüllt. Wie sagte die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad bei ihrem Besuch im Bundestag:

»Deutschland ist meine zweite Heimat, daher sind Sie auch meine Abgeordnete.«

Was für Nadia Murad gilt, gilt für alle Jesidinnen und Jesiden. Sie sehen Deutschland als ihre neue Heimat an. Sie lieben dieses Land und die Möglichkeit, ohne Verfolgung ihre Sprache zu sprechen, ohne diskriminierende Einschränkungen gegen Jesidinnen einer Arbeit nachzugehen, den eigenen Glauben leben zu dürfen. Sie wissen die Vorzüge der Demokratie, der freien Meinungsäußerung zu würdigen, und sie fühlen sich als Bestandteil dieses Landes. Dieser Glaube ist mehr als erschüttert. Rund 300.000 Jesidinnen und Jesiden (25 % dieses Volkes weltweit) leben in Deutschland. Ungefähr 30.000 von ihnen sind wegen ihres beschränkten Aufenthaltstitels von Abschiebungen bedroht. In fast jeder Familie gibt es zumindest eine Person, der eine Rückkehr in das Land der Täter droht, ein Land, für welches das Auswärtiges Amt eine Reisewarnung ausspricht; ein Land, in das die Mitglieder des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages angesichts der angespannten Lage aktuell nicht reisen können. Wenn die Sicherheit für unsere gut beschützen Parlamentarier nicht gewährleistet werden kann, wie soll es eine Sicherheit für die Menschen geben, die von der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung immer noch als ungläubig und »Teufelsanbeter« angesehen wird?

Es bedarf des politischen Willens

Dies haben Sie mit Ihrer Abstimmung im Januar sicher nicht bezweckt: die Jesidinnen und Jesiden als Opfer eines Völkermordes anzuerkennen, um sie postwendend in das Land des Völkermordes zurückzuschieben. Am 19. Januar haben Sie bekundet, dass Deutschland an der Seite der Jesidinnen und Jesiden steht. Das bedeutet auch, dass die Abschiebungen in den Irak sofort gestoppt werden müssen.

Dazu bedarf es zuerst einmal des politischen Willens. Das Bundesministerium des Innern kann im ersten Schritt einen Abschiebestopp für Jesidinnen und Jesiden verhängen. Wenn die Bundesländer ihrer Pflicht nicht nachkommen, dann ist der Bund gefordert.

Die Bundesrepublik hat ein starkes Parlament. Zeigen Sie diese Stärke und ermöglichen Sie ein Bleiberecht der Jesidinnen und Jesiden. Geben Sie der Regierung den Weg vor, um für ein echtes »Nie wieder« zu sorgen. Zeigen wir alle gemeinsam, dass Deutschland nicht mehr das Land ist, für den der juristische Begriff des Völkermordes gefunden wurde, sondern ein Land, das an der Seite der Schwachen und Schutzbedürftigen steht.

Bitte hier den offenen Brief unterschreiben.

__________________________________________________________

Als Erstunterzeichner unterstützen folgende Personen und Gruppen diesen offenen Brief.

(Liste alphabetisch aufgeführt)

Andrea Johlige, MdL Die Linke, Brandenburg

Anne Retzlaff, AK Asyl Friedrichsdorf

Dr. Ali Khalaf 1. Vors. Ezidxan International Aid e.V.

Enno Stünkel, Celler Netzwerk gegen Antismitismus

Erzbischof Mor Julius Hanna Aydin, Syrisch Orthodoxe Aramäer Deutschland

Flüchtlingsrat Niedersachsen

GEA, Gesellschaft Ezidischer Akademiker e.V.

Gesellschaft für bedrohte Völker

Günther Burkhardt, PRO ASYL e. V.

Holger Geisler, Herausgeber Lalis Dialog (V.i.S.d.P)

Ilyas Yanc, 1.Vorsitzender Yezidisches Forum Oldenburg e.V.

Irfan Cakar, Rechtsanwalt

Jinda Organisation, Dohuk

Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan, Psychologe,

Dr. Jochen Reidegeld, Friedensforscher

Josef Weidenholzer, ehemaliger MDEP, Präsident Volkshilfe Österreich

Jüdische Gemeinde Celle e.V.

Prof. Dr. Karin Stögener, Lehrstuhl für Soziologie, Universität Passau

Karl Kopp, PRO ASYL e.V.

Kurdische Gemeinde Deutschland e.V.

Landesverband der Eziden in Niedersachsen

Prof. Dr. Lars Rensmann, Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Uni Passau

Necdal Disli, Rechtsanwalt

Dr. Remko Leemhuis, Direktor AJC Büro Berlin

Weihbischof Dr. Stefan Zekorn, Bischöflicher Beauftragter für die Weltkirche im Bistum Münster

Prof. Dr. Stephan Grigat, Centrum für Antisemitismus- & Rassismusstudien, Kath. Hochschule NRW

Telim Tolan, ehemaliger Vorsitzender Zentralrat der Yeziden in Deutschland (ZYD)

Wadi e.V., Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit

Ähnliche Beiträge

 


 


 


 


 


 


 

Jesiden in Deutschland: Erst Völkermord, dann Abschiebung

Bildquelle: JKFB e. V.

Immer weniger Jesidinnen und Jesiden aus dem Irak werden in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt. In Berlin traten deshalb einige von ihnen in den Hungerstreik.

 

Jesiden aus dem Irak sind von Abschiebungen bedroht und das im Jahr, in dem der Bundestag die Massaker des Islamischen Staates von 2014 als Völkermord einstufte und anerkannte. Zu Recht kann man sich nun fragen, was dieser Schritt soll, wenn Überlebende von Abschiebungen in ein Land bedroht sind, in dem noch immer Hunderttausende in Camps vor sich hin vegetieren müssen.

Aus Protest gegen diese Entscheidungen trat nun eine Gruppe von Jesidinnen und Jesiden in Berlin den Hungerstreik. Die taz berichtet:

Die Situation in den Flüchtlingscamps sei „inakzeptabel“ und biete „keinerlei Zukunftsperspektiven“. Man fordere die Bundesregierung auf, Êzî­d*in­nen „weiterhin unter Berücksichtigung ihrer nach wie vor andauernden Verfolgung und Diskriminierung im Rahmen des Asylverfahrens Schutz zu gewähren“.

Genau das aber passiert seit 2018 immer seltener. Seit der IS Ende 2017 zurückgedrängt wurde, sank die Schutzquote bei inhaltlichen Entscheidungen rapide – von über 90 Prozent im Jahr 2017 knapp unter 49 Prozent 2022. Deutschland hat aber wegen der Lage vor Ort lange nur Straftäter und Gefährder in den Irak abgeschoben. „Im Mai dieses Jahres hat sich das plötzlich geändert“, sagt Kareba Hagemann. Die Rechtsanwältin steht ebenfalls vor dem Bundestag, will den Protestierenden beistehen. Sie vertritt seit Jahren Êzîd*innen, deren Asylanträge abgelehnt wurden. (...)

 

g

 

Ein bayerisches Gericht bestätigte die Ablehnung seines Asylantrags: Der IS sei seit 2017 „in der Fläche“ besiegt, und auch durch den Staat oder andere Akteure drohe den Êzî­d*in­nen keine Gruppenverfolgung. Minderheiten erlebten zwar „weitreichende faktische Diskriminierung“, allerdings nicht so erheblich, dass es asylrechtlich relevant wäre.

Es ist nicht lange her, da sah das Bundesinnenministerium das noch anders. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärte das BMI im März, Êzî­d*in­nen sei es wegen des Völkermords durch den IS „ungeachtet veränderter Verhältnisse“ auch weiterhin „nicht zumutbar, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren“.

Rechtsanwältin Hagemann weiß von mindestens 20 Fällen seit Mitte Mai, in denen Êzî­d*in­nen in den Irak abgeschoben wurden, alle aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. Viele andere, deren Asylgesuche abgelehnt wurden, bangen nun. Jahrelang hatten die Ausländerbehörden ihnen gesagt, in den Irak werde nicht abgeschoben. Nun gilt das plötzlich nicht mehr.