Wie ein Sammelband von Jürgen Zimmerer die Proteste gegen Israel inspiriert

Obsessiv sind immer die anderen

Kürzlich ist ein vom Historiker Jürgen Zimmerer herausgegebener Sammelband erschienen, der noch einmal den angeblichen »Katechismus der Deutschen« aufwärmt, die »Multidirektionalität« besingt und sich an der Singularitätsthese abarbeitet. Wenn A. Dirk Moses darin in Bezug auf Israelsolidarität gar von einer »Obsession« spricht, klingt das nicht so weit entfernt von den antiisraelischen Demonstranten und ihrem Slogan »Free Palestine from German guilt«.

»Free Palestine from German guilt«, riefen zahlreiche Demonstranten auf einer Kundgebung vor dem Sitz des Auswärtigen Amts in Berlin am 18. Oktober 2023 – elf Tage nachdem die palästinensische Hamas das größte antisemitische Massaker seit der Shoah verübt hatte. Die Parole, die man in diesem Zusammenhang als moralischen Freispruch für die Hamas verstehen kann, ist nicht neu: Man kennt sie bereits von der Documenta 15, auf der Plakate mit genau dieser Parole aufgehängt worden waren. Sie gibt eine im links-postkolonialen akademischen, aktivistischen und »israelkritischen« Milieu schon seit langem verbreitete Einstellung wieder: Israelsolidarität sei eine spezifisch deutsche Marotte, die nur aus einer falschen »Schuldsentimentalität« resultiere. Darunter müsse nun ein antikolonialer Schlussstrich gezogen werden: »One Holocaust does not justify another.«

Der 2021 erschienene, von A. Dirk Moses’ geschriebene Essay »Der Katechismus der Deutschen«, der als zentraler Schlüsseltext des erinnerungspolitischen »Historikerstreits 2.0« gelten darf, hat solche Aussagen wie »Free Palestine from German guilt« wohl mit inspiriert. »Millionen Deutsche haben während der vergangenen Jahrzehnte verinnerlicht, dass für die sündige Vergangenheit ihrer Nation nur über den Katechismus Vergebung zu erlangen ist«, schrieb er dort. Teil dieses Katechismus sei »Loyalität zu Israel«.

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