Studierende der Universität der Künste Berlin widersetzen sich dem dort grassierenden Antisemitismus

Gegen den autoritären Protest

Der Konflikt um Antisemitismus an der Universität der Künste Berlin spaltet weiterhin die Studentenschaft. Die antiisraelischen Kräfte gingen autoritär vor, erzählt eine Studentin.

Rund 100 Menschen mit Israelflaggen standen vor der Universität der Künste (UdK) Berlin. Bei der Kundgebung am Freitag voriger Woche war sogar Politprominenz dabei: Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) und die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Bettina Jarasch, hielten Reden.

Organisiert wurde die Kundgebung von Fridays for Israel. Diese Gruppe veranstaltet seit einigen Wochen Kundgebungen gegen Antisemitismus an verschiedenen Universitäten – dass auch die UdK an der Reihe sein würde, war wohl nur eine Frage der Zeit gewesen. Denn die größte Kunstuniversität Europas steht seit dem 7. Oktober exemplarisch für einen wachsenden Antisemitismus an Hochschulen.

Ende November hatte die FAZ als erstes Medium über die dortigen Zustände berichtete. »An der Universität der Künste in Berlin toben sich Israel-Hass und Antisemitismus offen aus«, hieß es in dem Artikel. Eine Rolle bei der plötzlichen Medienberichterstattung spielte eine Gruppe von Studierenden, die den Antisemitismus nicht länger hatte hinnehmen wollen und sich gemeinsam an die Öffentlichkeit wendete.

Eine von ihnen war Eleni Manolopoulos, eine Studentin der Bildenden Kunst. Die Berichterstattung habe die Universität stark polarisiert, erzählt die Studentin der Jungle World. Nach der Veröffentlichung des FAZ-Artikels hätten Fachklassengespräche zum Israel-Palästina-Konflikt stattgefunden. Zum Teil seien diese gut verlaufen, doch bei manchen sei es ähnlich gewesen wie bei den antiisraelischen Demonstrationen der vergangenen Wochen: »Immer wieder zeigt sich, dass einige Studierende und Lehrende antisemitische Denkmuster verinnerlicht haben und lautstark verbreiten.« Aus Mitgefühl mit den palästinensischen Zivilisten werde das von den meisten toleriert, was entgegen der Annahme nicht deeskalierend wirke. Das Ergebnis sei »ein zunehmend bedrohliches Umfeld für alle, die von Antisemitismus betroffen sind oder sich gegen Hass an der UdK aussprechen.« Dennoch ist Manolopoulos überzeugt: »Nicht jeder an der UdK ist Antisemit, aber viele trauen sich nicht, etwas zu sagen, weil die wenigen, die antisemitisch sind, so aggressiv auftreten.«

»Nicht alle an der UdK sind Antisemiten, aber viele trauen sich nicht, etwas zu sagen, weil die wenigen, die antisemitisch sind, so aggressiv auftreten.« Eleni Manolopoulos, Studentin an der UdK

Das zeigte sich schon bei dem Vorfall, der Anlass für die Presseberichte war: eine antiisraelische »Kunstperformance«, die am 13. November im Hauptgebäude der UdK stattfand. Die meisten Teilnehmenden waren schwarz gekleidet, maskiert und hielten rot bemalte Handflächen in die Höhe. Die Bildsprache erinnerte an ein bekanntes Foto eines antisemitischen Lynchmords: Im Jahr 2000 waren zwei israelische Reservisten im Westjordanland an einer Kreuzung falsch abgebogen und gerieten in die palästinensisch kontrollierte Stadt Ramallah. Dort wurden sie von Polizisten in Gewahrsam genommen und auf eine nahegelegene Wache gebracht. Ein wütender Mob stürmte die Wache und ermordete die zwei Reservisten. Einer der Mörder trat an das Fenster der Polizeistation – und präsentierte der auf der Straße stehenden Menge seine blutverschmierten Handflächen.

Organisiert wurde die Aktion von der neu gegründeten Gruppe »Student collective – not in our name«. Es nahmen jedoch nicht nur UdK-Studierende teil, sondern auch Vertreter von außeruniversitären politischen Gruppen. Medienberichten zufolge sprach bei der Performance Udi Raz von der antizionistischen Gruppe »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« sowie Georg Ismael von der trotzkistischen Gruppe Arbeiterinnenmacht.
Den Beteiligten wirft Manolopoulos vor, die Taten der Hamas am 7. Oktober zu relativieren und die Hamas geradezu als »Friedenstruppe« darzustellen. »Israel wird ein Genozid vorgeworfen, ausgeblendet wird, dass die Charta der Hamas offen einen Genozid an Juden und Jüdinnen fordert«, sagt Manolopoulos. Ihr zufolge trauten sich manche jüdische und israelische Studierende nicht mehr in die UdK.

Ein Blick auf den zeitlichen Ablauf der Ereignisse ist erhellend. Am 10. Oktober, drei Tage nach dem Hamas-Überfall auf Israel, veröffentlichte die Hochschulleitung eine knappe Mitteilung auf der UdK-Website, in der sie sich »betroffen und bestürzt über die gewalttätigen Angriffe der Hamas« zeigte und ihre »Solidarität mit unseren israelischen Kolleg:innen, Studierenden und Kunstschaffenden unserer Partner:in­nen in Jerusalem und Tel Aviv« aussprach.

Am 31. Oktober veröffentlichte die AG Intersektionale Antidiskriminierung – eine von der Universität geförderte antirassistische Gruppe – einen offenen Brief, um ihre »Besorgnis über die Auswirkungen der von der UdK am 10. Oktober online veröffentlichten Stellungnahme zum Ausdruck zu bringen«. Israel sei ein »Apartheidstaat«, der einen »Genozid« in Gaza verübe, hieß es in dem Brief.

Am 11. November veröffentlichte das Präsidium eine lange Erklärung, in der es seine vorherige Solidaritätsbekundung verteidigte – diese habe einen konkreten Anlass gehabt, den 7. Oktober, und die Israelflagge, die sie als Bild begleitete, sei ein Bekenntnis »zum Exi­stenzrecht des Staates Israel« gewesen, zu welchem man sich veranlasst gesehen habe, weil die Hamas dieses ablehne. Man verfolge die Kriegshandlungen in Gaza und empfinde »tiefes Mitgefühl für all diejenigen, die in diesem Krieg unsagbares Leid erdulden müssen«, hieß es. Ferner betonte die Erklärung die Bedeutung der Meinungsfreiheit, allerdings lehne die Universität jegliche »Akzeptanz für die Terrorgruppe Hamas oder anderer Terrororganisationen strikt ab«.

Die Universität »stelle sich auf die Seite der Kolonialisten«, weil sie in ihrem Brief vom 11. November die »75 Jahre alte israelische Besatzung« nicht als die eigentliche »Wurzel der Gewalt« benannt habe, so das »Student Collective«.

Zwei Tage später fand die Kunstperformance statt. Bei dieser wurde der UdK-Präsident niedergebrüllt, weil er sich weigerte, den durch Israel verübten »Genozid« zu verdammen. Am 29. November veröffentlichte das »Student Collective« eine lange Mitteilung auf Instagram, in dem es seine Kritik an der Universitätsleitung ausführlicher formulierte. Die Universität »stelle sich auf die Seite der Kolonialisten«, weil sie in ihrem Brief vom 11. November die »75 Jahre alte israelische Besatzung« nicht als die eigentliche »Wurzel der Gewalt« benannt habe.

Als Ziele formuliert das Kollektiv die »Beendigung der Belagerung Gazas« und das »Ende der 75 Jahre alten israelischen Besatzung« – gemeint ist also nicht die des Westjordanlands seit 1967, sondern die Staatsgründung Israels im Jahr 1948. Die Hamas oder deren israelische Geiseln werden mit keinem Wort erwähnt. An die Universitätsleitung richtet die Gruppe eine Reihe von Forderungen: Sie müsse »alle Verbindungen mit Universitäten kappen, die Militäroperationen unterstützen« – als Beispiele werden zwei israelische Kunstuniversitäten genannt. Außerdem müsse die Universität »die israelischen Kriegsverbrechen verdammen«. Bis das nicht geschehe, gingen die Aktionen an der Uni weiter.

Manolopoulos betont immer wieder den autoritären Gestus des »Student Collective«. Sie berichtet, dass Kommilitonen und Lehrpersonen unter Druck gesetzt würden, Stellung zu beziehen. Wenn sie sich weigerten, werde ihnen vorgeworfen, »zu privilegiert« zu sein; »wenn sie sich aber gegen Antisemitismus aussprechen, werden sie diffamiert«.

Es sei absurd, meint Manolopoulos: Gruppen wie die AG Intersektionale Antidiskriminierung führten sonst Debatten über Mikroaggressionen und »Silencing«. Der Antisemitismus werde jedoch weder verurteilt noch benannt. Damit diskriminiere der AG »jüdische und israelische Studierende und wird so in der Negation zur AG Intersektionale Diskriminierung«. Sie hoffe in Zukunft auf eine Diskussionskultur, in der es Platz für den Schmerz von Israelis und von Palästinensern gebe.