Interview

2001/32 Der Soziologe Ricardo Vargas über den Plan Colombia

»Kolumbien hat keine Drogenpolitik«

Bei den schwersten Kämpfen seit langem sind in Kolumbien während der vergangenen Woche etwa 200 linke Rebellen, rechte Paramilitärs, Soldaten und Polizisten getötet worden. Doch der Konflikt ist nicht allein ein internes Problem des südamerikanischen Landes. Mit dem Plan Colombia haben sich die USA im Rahmen ihres Antidrogenfeldzugs, der auch der Aufstandsbekämpfung dient, längst in den Bürgerkrieg eingemischt. Ricardo Vargas ist Jurist und Soziologe an der Nationalen Universität Kolumbiens in Bogotá.

2001/31 Der Autonomia-Aktivist Oreste Scalzone über die Gewaltfrage

»Wir erliegen einem Wahn«

»Genossen und Genossinnen! Haltet euch fern von Genua!« Diesen Rat erteilte der Altautonome Oreste Scalzone dem radikalen Teil der Antiglobalisierungsbewegung vor einigen Wochen. Scalzone wurde am 7. April 1979 in Italien im Zuge der Repression gegen die Autonomia verhaftet, aus gesundheitlichen Gründen aber wieder aus der Haft entlassen. Anschließend wurde er zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Er entzog sich dem Haftantritt durch die Flucht nach Frankreich, das sich bislang geweigert hat, ihn an Italien auszuliefern. Das Interview mit Scalzone führte Paolo Fiore. Es erschien am 26. Juli in Il Nuovo.

2001/30 Milosevics Anwalt Christopher Black über den Prozess in Den Haag

»Ein Freispruch ist nicht ausgeschlossen«

Zu beneiden ist der kanadische Anwalt Christopher Black nicht um seinen Job. Er versucht derzeit, Slobodan Milosevic eine lebenslange Haft im Gefängnis von Scheveningen bei Den Haag zu ersparen. Nach eigenen Angaben erhält der in Toronto residierende Anwalt für seine Verteidigung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten vor dem Uno-Kriegsverbrechertribunal »keinen einzigen Dollar«. Mehr noch als für die Freiheit Milosevics kämpft Black jedoch für das Ende des Tribunals. Ähnlich wie sein Mandant will auch Black die Verteidigung dazu benutzen, das Tribunal und seine Richter als von der Nato abhängig zu denunzieren.

2001/29 Beate Klarsfeld über die deutschen Reaktionen auf den Besuch Assads

»Assads Anhänger gehören vor Gericht«

In Frankreich sorgte der Besuch des syrischen Präsidenten für einen Aufschrei. Bashar al Assad, der vorige Woche auf Einladung der Bundesregierung in Berlin war, hatte im März die Juden des Verrats an Jesus geziehen. Doch auch Assads Äußerung, in Israel existiere »eine rassistischere Gesellschaft als im Nationalsozialismus«, brachte die deutschen Gastgeber nicht aus der Fassung. Außenminister Joseph Fischer forderte ihn lediglich auf, seine »politische Rhetorik« zu ändern.

Beate Klarsfeld, die 1968 durch ihre Ohrfeige für den damaligen Bundeskanzler und Alt-Nazi Kurt-Georg Kiesinger bekannt wurde, reiste mit ihre Gruppe »Söhne und Töchter der aus Frankreich deportierten Juden« eigens nach Berlin, um gegen den Besuch Assads zu protestieren. Seit den achtziger Jahren kämpft Klarsfeld für die Auslieferung des NS-Massenmörders Alois Brunner, der in Syrien lebt.

2001/28 Dino Frisullo über Einwanderungspolitik in Italien

»Eine Politik der niedrigsten Instinkte«

Endlich am Ziel! Der neue italienische Premierminister Silvio Berlusconi hat seine Regierung unter Beteiligung der postfaschistischen Alleanza Nazionale und der rassistischen Lega Nord von Umberto Bossi gebildet. Deren zweitwichtigster Mann, Roberto Maroni, leitet nun das Ministerium für Arbeit, Soziales und Einwanderung.

Dino Frisullo ist Mitarbeiter der Immigrantenorganisation Senza Confine (Ohne Grenze).

2001/27 Richard Chaim Schneider über Israel und Palästina

»Es wird keinen Nahost-Krieg geben«

Der Publizist und Filmemacher Richard Chaim Schneider wurde 1957 als Kind ungarischer Juden und Holocaust-Überlebender in München geboren. Er publizierte diverse Bücher über das jüdische Leben in Deutschland. Vor drei Jahren erschien sein Buch »Israel am Wendepunkt«. Für seinen Dokumentarfilm »Wir sind da! Die Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis heute« wurde er im vergangenen Jahr unter anderem mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Schneider lebt abwechselnd in München und Jerusalem.

2001/26 Bodo Hombach über die Krise in Mazedonien

»Kein Anschluss an Albanien«

Eine weitere Interventionstruppe auf dem Balkan? Nach Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo nun Mazedonien? Für den Marschbefehl der Nato fehlt nur noch die Einigung der Regierung in Skopje mit der Nationalen Befreiungsarmee UCK. 3 000 Soldaten will das westliche Militärbündnis zur Entwaffnung der Separatisten entsenden, sollten beide Seiten dem Einsatz zustimmen. Doch bis zum Wochenanfang blieb unklar, ob die Pendeldiplomatie von EU und Nato die Konfliktparteien zum Einlenken bringen würde.

Bodo Hombach ist Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa.

2001/25 Ricardo Dominguez über Online-Demonstrationen

»Wir haben niemals Daten entführt«

In diesen Tagen soll die Aktionärsversammlung der Lufthansa live im Internet übertragen werden. Wenn nichts dazwischenkommt. Denn eine Online-Demonstration gegen das Abschiebegeschäft der Fluglinie könnte für leere Bildschirme bei www.lufthansa.com sorgen.

Unterstützt wird die von Antira-AktivistInnen ausgeheckte Internet-Aktion von Ricardo Dominguez, einem Mitglied des New Yorker Electronic Disturbance Theater. Der Netzkünstler organisierte 1998 bereits eine Reihe virtueller Sit-Ins auf mexikanischen Regierungsservern zur Unterstützung der Zapatisten. 1999 sperrte die Internet-Kontrollbehörde seine Website, um eine Kampagne gegen das Online-Warenhaus Etoys.com zu beenden. Doch ohne Erfolg.

2001/24 Günter Rexrodt über die Berliner Finanzkrise und die Chancen der FDP

»Wir wollen keine Show-Events«

Am vergangenen Samstag starteten PDS, Grüne und FDP in Berlin eine gemeinsame Unterschriftenkampagne für ein Volksbegehren, das Neuwahlen herbeiführen soll. Die Liberalen, die 1995 mit 2,5 Prozent der Stimmen aus dem Berliner Landesparlament geflogen waren, können mit ihrem Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus rechnen.

Günter Rexrodt, der Landesvorsitzende der Berliner FDP, kennt sich aus mit Finanzen und Krisen. Er war Vorstandsvorsitzender der Citibank in Frankfurt/Main und Vorstandsmitglied der Treuhandanstalt. Von 1993 bis 1998 war der mittlerweile 59jährige Bundesfinanzminister und zwischen 1985 und 1989 Finanzsenator in Berlin unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen.

2001/23 Peter Finkelgruen über den Malloth-Prozess

»Der Justizskandal ist noch nicht aufgeklärt«

Lebenslänglich wegen Mordes und versuchten Mordes - mit diesem Urteil ist vorige Woche in München der wohl letzte große NS-Kriegsverbrecherprozess zu Ende gegangen. Für weitere ungezählte Morde, über die nicht verhandelt wurde, soll Anton Malloth ebenfalls verantwortlich sein. Er war vor 56 Jahren SS-Wachmann in der Kleinen Festung Theresienstadt, einem Gestapo-Gefängnis. (Jungle World, 17/01)

Dass ihm nun doch der Prozess gemacht wurde, ist nicht zuletzt den Recherchen von Peter Finkelgruen zu verdanken. Sein Großvater wurde am 10. Dezember 1942 in Theresienstadt von Malloth zu Tode geprügelt. In seinem Buch »Haus Deutschland oder Die Geschichte eines ungesühnten Mordes« hat Finkelgruen den Fall geschildert.