Interview

2000/42 Roland Claus, Fraktionsvorsitzender der PDS im Bundestag

»2006 minus x«

Die Mehrheit war überwältigend. Mit über 90 Prozent wählten die PDS-Delegierten am Wochenende Gabriele Zimmer an die Spitze ihrer Partei. In Cottbus kündigte die neue Vorsitzende an, die Kooperation mit der SPD auf allen Ebenen auszubauen. Als Probelauf für eine Regierungsbeteiligung auch auf Bundesebene, die in der Partei kaum noch auf Ablehnung stößt, gilt das 1994 gestartete »Magdeburger Modell«. Parlamentarischer Geschäftsführer der sachsen-anhaltinischen Landtagsfraktion war damals Roland Claus, der die Tolerierung der SPD durch die PDS in die Wege leitete. Anfang des Monats wurde der 56jährige als Nachfolger Gregor Gysis zum Vorsitzenden der Bundestagsfraktion gewählt.

2000/41 Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

»Wir wollen uns nicht daran gewöhnen«

Anschläge auf Synagogen in Düsseldorf und Berlin, Schändungen jüdischer Friedhöfe in Potsdam und Schwäbisch Hall - all das geschah am und um den 3. Oktober herum. Damit setzt sich fort, was bisher jeden deutschen Nationalfeiertag seit 1990 begleitet hat. Antisemitismus ist in Deutschland zwar immer vorhanden, an manchen Tagen zeigt er sich aber noch aggressiver als sonst.

Andreas Nachama ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

2000/40 Detlef Hensche, Vorsitzender der IG Medien

»Der Protest könnte lauter sein«

Die Parteinahme war eindeutig: In einer kostspieligen Kampagne forderte der DGB 1998 die Wählerinnen und Wähler auf, ihre Stimmen der SPD oder den Grünen zu geben. Mit Erfolg. Doch zwei Jahre später ist die Freude über die rot-grüne Regierung bei den Gewerkschaften längst nicht mehr so einhellig.

Detlef Hensche ist Vorsitzender der Industriegewerkschaft Medien.

2000/39 Der Schweizer Publizist Res Strehle

»Eine Entwicklung wie in Ostdeutschland«

Zum fünften Mal innerhalb der vergangenen dreißig Jahre ist am Sonntag in der Schweiz ein Volksbegehren zur Begrenzung des Ausländeranteils gescheitert - diesmal mit einer überraschend deutlichen Mehrheit von über sechzig Prozent. Gleichzeitig verfestigt sich, wie Demoskopen angeben, ein Potenzial von rund 30 Prozent der Schweizer, das bereit ist, jeder gegen Ausländer gerichteten Initiative seine Zustimmung zu geben.

Res Strehle, ist Redakteur der Züricher Weltwoche

2000/36 Jairo Bedoya, kolumbianischer Sozialforscher

»Kolumbien ist für die USA strategisch zentral«

Militärhilfe und Drogenbekämpfung für die Menschenrechte - US-Präsident William Clinton gab sich bei seinem Kolumbien-Besuch letzte Woche ganz demokratisch. Einige tausend Demonstranten sahen das anders. Sie wiesen auf Verbindungen der US-Regierung zu den kolumbianischen Paramilitärs hin, die für die Morde an zahlreichen Oppositionellen verantwortlich gemacht werden.

Jairo Bedoya ist Sozialforscher des Medelliner Bildungsinstituts IPC, das Projekte in den Armenvierteln der Stadt durchführt. 1999 wurde Bedoya im Auftrag der Paramilitärs entführt und drei Wochen festgehalten. Seit seiner Freilassung lebt er im Exil. Zuletzt beteiligte er sich an Aktivitäten von Oppositionsgruppen in Madrid gegen die internationale Finanzierung des Plan Colombia (Jungle World, 34/00).

2000/35 Moshe Zuckermann, israelischer Soziologe

»Nichts ist abgegolten, nichts normalisiert«

Kein Tag vergeht, an dem in Politik und Medien nicht vorm Rechtsextremismus in Deutschland gewarnt wird. Von der Lokalzeitung bis zum Bundeskanzler sind plötzlich alle Antifaschisten. Nur über Gründe und Auswirkungen wird noch gestritten: Soll man die NPD verbieten? Müssen mehr Lehrstellen geschaffen werden? Braucht die Polizei neue Befugnisse? Hilft psychologische Betreuung?

Moshe Zuckermann ist Professor für Soziologie, Geschichte und Politologie an der Universität in Tel Aviv und leitet das Historische Institut für Deutsche Geschichte.

2000/34 Kurt Holl, Vorsitzender von Rom e.V.

»Antiziganismus findet sich rechts und links«

Die Ausländerbehörden erhöhen den Druck auf Flüchtlinge aus dem Kosovo: Nach dem angeblichen Ende des Kriegs werden Duldungen widerrufen; täglich finden Abschiebungen statt. Die Angehörigen der im Kosovo heftiger denn je verfolgten Roma-Bevölkerungsgruppe sollten eigentlich davon ausgenommen sein; doch immer wieder werden auch Roma abgeschoben. Dabei spielt ein in Deutschland tief verwurzeltes Ressentiment gegen Sinti und Roma eine große Rolle.
Kurt Holl, Vorsitzender von Rom e.V.

2000/33 Eberhard Schönberg, Gewerkschaft der Polizei

»Das Weltbild kann verrutschen«

Zum staatlich verordneten Antifaschismus gehört der Ruf nach einem härteren Durchgreifen der Polizei. Wie der Knüppel auf's Auge passt dazu, dass zuletzt mehrere Polizeibeamte durch rassistische und antisemitische Parolen oder rechtsextreme Drohungen auffielen.

Eberhard Schönberg ist Berliner Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei.

2000/32 Osaren Igbinoba, The Voice

»Die Gesetze gegen Fremde müssen weg«

Vertreter von Politik und Wirtschaft überbieten sich bei der Entrüstung über militante Rechtsextremisten. Gegenstand der Sorge ist oftmals mehr das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland als das Wohlergehen jener, die die Übergriffe zu spüren bekommen. Gleichzeitig wird die Unterteilung in nützliche und unnütze Migranten immer beliebter. Am letzten Wochenende forderte Hessens Ministerpräsident Roland Koch, über das Grundrecht auf Asyl »neu zu reden«.

Die Flüchtlingsorganisation The Voice setzt sich gegen die repressive Behandlung von Flüchtlingen in Deutschland ein.