Interview

1998/41 Christina Schenk

»Wahlverwandtschaften statt Homo-Ehe«

Von der PDS bis zur SPD, im Wahlkampf entdeckten sie plötzlich fast alle Bundestagsparteien für sich: die "Homo-Ehe". Allein die Unionsparteien wollten sich die legalisierte Heirat von Schwulen und Lesben nicht auf die Fahne schreiben. In die Diskussion ist Bewegung gekommen: Auch der künftige Kanzler Gerhard Schröder kündigte im September an, ein Rechtsinstitut schaffen zu wollen, "welches die gleichen Rechte und Pflichten wie die Ehe umfaßt".

Christina Schenk ist Frauenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion. Die 1962 geborene "Atheistin, in lesbischer Partnerinnenschaft lebend" (Bundestags-Handbuch) gehörte nach Mitgliedschaft in der SED (1974-81) und Engagement in der DDR-Oppositionsbewegung während der Wende zu den Mitgründerinnen des Unabhängigen Frauenverbands (UFV). Von 1990 bis 1994 saß sie als Vertreterin des UFV in der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, seit 1994 für die PDS.

1998/40 Karl-Heinz Roth

»Neue Konzepte gegen prekäre Arbeit«

Existenzgeld für alle, 1 500 Mark plus Warmmiete - mit dieser Forderung machen die Erwebsloseninitativen derzeit, wie zuletzt bei ihrem bundesweiten Aktionstag im September, mobil. Der Anspruch auf ein Einkommen unabhängig von Lohnarbeit wurde bereits in den siebziger Jahren im Kontext von Jugendbewegung und Arbeiterkämpfen in Italien erhoben. "Politischer Lohn ist die Möglichkeit, eigenständig für die Organisierung des Kampfes gegen die Arbeit zu arbeiten", verkündete damals der neo-marxistische Operaist Ferrucio Gambio. In Deutschland machte zuerst die sozialrevolutionäre Zeitschrift Autonomie. Neue Folge diese Forderung publik. Karl-Heinz Roth, Arzt und Mitarbeiter des Instituts für Sozialgeschichte in Hamburg, war Mitherausgeber der Autonomie.

1998/39 Walter Kemp

»Berisha ist völlig unberechenbar«

Die albanische Hauptstadt Tirana war am vergangenen Samstag Ziel der Fact-finding-Mission einer Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unter Führung des polnischen Außenministers Bronislaw Geremek. In einer OSZE-Erklärung vom Freitag heißt es, die Gruppe wolle auf eine Wiederherstellung von Stabilität und politischer Zusammenarbeit hinwirken. Die Delegation führte in Tirana Gespräche mit dem sozialistischen Ministerpräsidenten Fatos Nano, seinem Gegenspieler Sali Berisha und Staatspräsident Rexhep Meidani. Geremek sagte, die OSZE verurteile die gewaltsamen Aktionen von Berisha-Anhängern, in die auch die Demokratische Partei verwickelt sei. Auch die Regierung kritisierte er: Ihr Kampf gegen die Korruption in dem Balkanland gehe zu langsam voran.

Nach dem Besuch in Tirana sprach Jungle World mit Walter Kemp, dem Pressechef der OSZE.

1998/38 Philip Agee

»Die USA stärken den Islamismus«

Philip Agee war von 1957 bis 1968 Einsatzbeamter der Central Intelligence Agency (CIA) in Mexiko, Südamerika und Washington D.C. 1970 brach er mit dem US-Geheimdienst. In seinem erstmals 1975 erschienenen CIA-Tagebuch "Inside the Company" berichtete der Aussteiger über Interventionen und dirty tricks der Agency in verschiedenen Staaten Lateinamerikas. Nach seinen Enthüllungen rückte er Ende der siebziger Jahre ins Fadenkreuz westlicher Geheimdienste, Pläne zu einem Attentat auf ihn wurden bekannt. Auf Druck der US-Behörden mußte Agee fünf Nato-Mitgliedsstaaten verlassen, seine US-Staatsbürgerschaft wurde ihm aberkannt. Heute lebt der 63jährige als Schriftsteller und freier Journalist in Hamburg.

1998/37 Pablo Beltrán

»Die Guerilla ist nicht allmächtig«

Pablo Beltrán ist Sprecher der Nationalen Befreiungsarmee (ELN), einer Guerilla, die etwa 70 Fronten in ganz Kolumbien unterhält. Im Juli hat sich die ELN unter Schirmherrschaft der deutschen Bischofskonferenz mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Kolumbien im Kloster Himmelspforten bei Mainz getroffen, um über den bewaffneten Konflikt zu sprechen (Jungle World, Nr. 30 und 33/98). Seitdem ist die ELN-Delegation in Europa unterwegs.

Daß die Guerilla bei ihrer Rundreise auf die Unterstützung des deutschen Kanzleramts und des Agenten Werner Mauss zählen kann, hat in Deutschland Mißtrauen geweckt. Pablo Beltr‡n erklärt die Verbindungen seiner Organisation zur deutschen Regierung sowie das ELN-Projekt einer gesellschaftlichen Debatte ohne Demobilisierung der Guerilla.

1998/36 Peter Grafe

»Der Politiker ist immer eine Kunstfigur«

Die SPD und ihr Kandidat wollen modern erscheinen. Glaubt man ihrer Selbstdarstellung, dann bedienen sich die Wahlkampfmanager dazu auch besonders moderner Methoden - abgeschaut aus den USA. Was ist wirklich neu an diesem Wahlkampf?

Peter Grafe, Journalist und Autor des Buches "Wahlkampf - Olympiade der Demokratie" (Frankfurt am Main 1994), beschäftigt sich seit Jahren mit Wahlkampftechnik. Daneben erstellt das SPD-Mitglied Grafe auch Medienkonzepte für seine Partei.

1998/35 Karl Brozik

»Die Regierung bleibt bei der Hinhaltetaktik«

Nach der Einigung zweier Schweizer Banken mit den jüdischen Klägern auf Entschädigungszahlungen, haben auch die Antwälte der italienischen Versicherung Generali einen Vergleich mit den Klägern ausgehandelt. Dabei geht es um Versicherungspolicen von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus, die nach dem Krieg nicht an deren Hinterbliebenen ausgezahlt wurden. Geklagt wird mit dem gleichen Vorwurf gegen insgesamt 15 europäische Versicherungen, darunter die deutsche Allianz.

Auch die Chancen für ehemalige Zwangsarbeiter, doch noch eine Entschädigung zu erhalten, scheinen größer zu werden. Nach VW haben jetzt auch BMW, Daimler und andere Unternehmen ihre Bereitschaft erklärt, sich an einem Entschädigungfonds zu beteiligen.

Die Conference on Jewish Material Claims against Germany vertritt die Ansprüche jüdischer NS-Opfer. Jungle World sprach mit Karl Brozik, dem Repräsentanten der Claims Conference in Deutschland.

1998/34 Bahman Nirumand

»Der zahnlose Löwe brüllt«

Der 1936 in Teheran geborene Bahman Nirumand hat in München, Tübingen und Berlin Germanistik, Philosophie und Iranistik studiert. Unter dem Schah-Regime wurde er politisch verfolgt und mußte in den sechziger Jahren den Iran verlassen. Sein 1967 erschienenes Buch "Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt" hatte großen Einfluß auf den Internationalismus der Studentenbewegung. 1979, kurz vor dem Sturz des Schah, kehrte er in den Iran zurück. Seine politischen Aktivitäten gegen die Islamisten zwangen ihn jedoch erneut ins Exil. Nirumand lebt heute als freier Journalist und Schriftsteller in Wiesbaden. Er veröffentlichte u. a. eine Khomeini-Biographie, "Mit Gott für die Macht", sowie "Feuer unterm Pfauenthron. Verbotene Geschichten aus dem persischen Widerstand", "Iran - hinter den Gittern verdorren Blumen" und "Sturm im Golf. Die Irak-Krise und das Pulverfaß Nahost".

1998/33 Helmut Holter

»Wir bekennen uns zur Marktwirtschaft«

Die "permanente Aushöhlung des Grundgesetzes" mache die Opposition, "also auch uns", zu den "eigentlichen Verfassungspatrioten", schreibt die PDS-Spitze an Richard von Weizsäcker. In dem vergangene Woche veröffentlichten Schreiben heißt es außerdem: "Es ist eine bittere Erkenntnis, daß viele von uns um großer Ideale willen Strukturen der Unterdrückung mitgetragen und Verfolgung Andersdenkender zugelassen haben. Dafür stehen wir in einer andauernden moralischen Verantwortung." Darüber hinaus bekennt sich die PDS in dem Brief zur "Beachtung marktwirtschaftlicher Prinzipien".

Lothar Bisky, Gregor Gysi und die ostdeutschen PDS-Landesvorsitzenden antworteten mit ihrem offenen Brief auf einen Artikel des ehemaligen Bundespräsidenten in der Süddeutschen Zeitung. Dort hatte sich von Weizsäcker Mitte Mai gegen die Anti-PDS-Kampagne der CDU gewandt. Gleichzeitig forderte er von der PDS ein, sich unzweideutig vom "Unrecht in der Diktatur der SED" zu distanzieren und einen "erkennbaren Willen zur Einheit" zu zeigen. Helmut Holter ist Landesvorsitzender der PDS Mecklenburg-Vorpommern und hat den Brief mitunterzeichnet.

1998/32 Christian Schmidt

»Fischer hat die Grünen gekapert«

Nena schwärmt für Joseph Fischer, weil er so "erotisch" (Max) ist, Mark Terkessidis wählt ihn zum "vergleichsweise interessantesten deutschen Politiker" (Spex). Christian Schmidt, freier Autor in Berlin, von 1989 bis 1996 Redakteur bei Titanic, hat im Frankfurter Alt-Sponti-Milieu die Karriere des ehemaligen Putzgruppen-Chefs recherchiert. Sein Buch über Fischer und dessen "Frankfurter Gang" ist im Econ-Verlag unter dem Titel "Wir sind die Wahnsinnigen" erschienen. Jutta Ditfurth wird das Buch demnächst für die Jungle World rezensieren. Den Grünen haftet das Image an, für politische Inhalte zu stehen, sie aber schlecht zu verkaufen. In Spex schreibt Mark Terkessidis, es bestehe kein Zweifel daran, daß Joseph Fischer es mit seinen Politikalternativen ernst meine. Sie behaupten genau das Gegenteil, die Geschichte der Grünen sei ein großer Bluff.