Interview

1998/31 Christian Pfeiffer

»Keine Rede davon, daß alles brutaler wird«

Nach dem Mord von zwei Jugendlichen an einem Lebensmittelhändler in Hamburg waren sich Politiker fast aller Parteien einig: Mehr geschlossene Heime müssen her. Inzwischen haben Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern die Einrichtung weiterer geschlossener Heimplätze angekündigt. Christian Pfeiffer ist Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.

1998/30 Hans Koschnick

»Sie sind in Waffen vernarrt«

Hans Koschnick war von 1994 bis 1996 Administrator der Europäischen Union (EU) in Mostar. In der während des Bosnien-Krieges in einen "Krieg im Krieg" verwickelten Stadt setzte sich der ehemalige Bremer Bürgermeister für eine Zusammenarbeit der beiden früheren Kriegsparteien ein. Diese scheiterte jedoch immer wieder an der mangelnden Kooperationsbereitschaft vor allem der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), die Mostar zur Hauptstadt der Herzegowina ernannte. Nachdem kroatische und muslimische Verbände die Stadt zunächst gemeinsam gegen serbische Angriffe verteidigt hatten, kam es im April 1993 zu einem Krieg zwischen den einstigen Koalitionspartnern. Ähnliches spielte sich auf Föderationsebene ab: Bereits im Herbst 1992 begannen Kämpfe zwischen den einstigen kroatischen und muslimischen Verbündeten, ehe sie sich zur Jahreswende 1992/93 zu einer offenen "Front innerhalb der Front" entwickelten. Erst auf Druck der USA gelang es Anfang 1994, die Partner wieder zusammenzuführen. Nach der formalen Gründung der kroatisch-muslimischen Föderation im März 1994 kämpften sie wieder Seite an Seite.

1998/29 Berndt Petri

»Stollmann hat Druck ausgeübt«

Der neue Star in Gerhard Schröders Schattenkabinett ist unter Beschuß geraten. Die Gewerkschaften werfen dem Unternehmer und potentiellen Wirtschaftsminister Jost Stollmann vor, in seiner ehemaligen Firma Compunet die Wahl eines Betriebsrates verhindert zu haben. Doch der sieht darin kein Problem. Seine Mitarbeiter hätten sich damals mit großer Mehrheit gegen einen Betriebsrat ausgesprochen - denn seiner Meinung nach gebe es kaum ein Unternehmen, in dem die Beschäftigten so viel zu sagen hätten wie bei Compunet.

Berndt Petri ist geschäftsführender Sekretär bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) in Köln.

1998/28 Luca Sofri und Carlo Ginzburg

»Gerechtigkeit, keine Amnestie!«

Die italienische Justizfarce um die Erschießung des Kommissars Luigi Calabresi am 17. Mai 1972 ist in eine neue Phase eingetreten. Calabresi war an den Ermittlungen um das "Staatsmassaker" vom 12. Dezember 1969 beteiligt. Während des "heißen Herbstes" detonierte eine Bombe in der Mailänder Landwirtschaftsbank, 17 Menschen starben. Die Bombe wurde von Neofaschisten gelegt, angestiftet und gedeckt von Geheimdiensten. Die Ermittlungen richteten sich jedoch gegen Anarchisten, von denen einer, Giuseppe Pinelli, am 15. Dezember 1969 aus einem Fenster des Mailänder Polizeipräsidiums fiel. Für die Tötung Calabresis wurden drei ehemalige Militante von Lotta Continua - Adriano Sofri, Ovidio Bompressi und Giorgio Pietrostefani - zu je 22 Jahren Haft verurteilt. Grundlagen waren die dubiosen Aussagen eines Kronzeugen. Der Verteidiger der drei versucht jetzt, beim Kassationsgerichtshof eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen.

Carlo Ginzburg hat die Widersprüche des Verfahrens in dem Buch "Der Richter und der Historiker" (Berlin 1991) beschrieben, Luca Sofri ist der Sohn des inhaftierten Adriano Sofri.

1998/26 Cornelie Sonntag-Wolgast

»Die SPD war es nicht alleine«

Nur noch in Ausnahmefällen soll geduldeten und ausreisepflichtigen Flüchtlingen Sozialhilfe gezahlt werden. Darin sind sich Regierung und SPD einig. Der Versuch, das 1993 als Flüchtlingssonderrecht geschaffene Asylbewerberleistungsgesetz ein zweites Mal zu ändern, scheiterte Anfang März denn auch weniger am fehlenden Willen, sondern am Unwissen der Parlamentarier darüber, welche Flüchtlingsgruppen von den Kürzungen betroffen sein würden. Inzwischen herrscht Klarheit: Noch diese Woche könnte ein verschärfter Koalitionsentwurf den Bundestag passieren. Auch illegal Eingereiste würden dann von den Leistungen ausgenommen. Die Koalition konnte dabei auf eine SPD-Vorlage aufbauen: Der Gesetzentwurf stammt ursprünglich aus dem niedersächsischen Innenministerium. Cornelie Sonntag-Wolgast ist Asylpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und Spitzenkandidatin der SPD Schleswig-Holstein für die Bundestagswahl.

1998/25 Christian Specht

»Ich mach’, was sich andere nicht traun«

"Christian Specht kann man das Protestieren nicht verbieten!" (Christian Specht) Hat man miterlebt, wie der Aktivist auf Demos und Veranstaltungen in Berlin interveniert, versteht man, daß ihn so mancher zum Teufel wünscht. Vor Christian Specht ist niemand sicher - weder Joseph Fischer noch die Streetfighter, keine Zeitungsredaktion in Berlin und schon gar nicht die Polizei. Wegen einer von ihm angemeldeten Demonstration auf dem Schönefelder Flughafen am 28. März ist gegen ihn jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet worden.

1998/24 Birgit Rommelspacher

»Rechtsradikale sind keine Protestwähler«

Alles nur Protest? In Ost-Berlin würden rechtsradikale Parteien von Lehrlingen soviele Stimmen erhalten wie alle übrigen Parteien zusammen. Insgesamt würden rund 20 Prozent der Jugendlichen ihr Kreuzchen bei der NPD oder den Republikanern machen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war dieser Anteil ähnlich hoch. Das geht aus einer Jugendstudie hervor, die das Zentrum für Europäische Bildung in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin diese Woche präsentierte. Die Psychologin Prof. Dr. Birgit Rommelspacher ist Dozentin an der Berliner Fachhochschule für Sozialarbeit "Alice Salomon".

1998/23 Christian Kracht und Eckhart Nickel

»Ich hasse Busfahrer!« - »Ich auch!«

"Ferien für immer" ist der Titel eines Buches von Christian Kracht und Eckhart Nickel, das gerade bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. In 67 Kurzgeschichten stellen Kracht (früher Tempo und Spiegel; Autor von "Faserland", 1994) und der promovierte Kellner und freie Journalist Nickel "die angenehmsten Orte der Welt" vor - oder die, die sie dafür halten: abgerockte Strandbuchten, die indonesische Todesfluglinie Merpati Nusantara oder den Pool mit den trinkfesten Fantasy-
Schwermetallern von Mötley Crüe. "Ein nahegehendes, sensibles Beobachten von Personen und Dingen, wunderschön und assoziativ", fanden unsere Interviewer, hatten dann aber doch noch ein paar Fragen.

1998/22 Wolfgang Purtscheller

»Faschismus wird geschnupft«

Zwischen 1993 und 1996 verschickte die Bajuwarische Befreiungsarmee (BBA) 25 Briefbomben an Nicht-Österreicher und "Ausländerfreunde" und legte drei Rohrbomben. Dabei wurden vier Menschen getötet, elf weitere teilweise schwer verletzt. Wolfgang Purtscheller, österreichischer Journalist und Buchautor, recherchiert und berichtet seit Beginn der ersten Bombenserie über Ursachen und Urheber des rassistischen Terrors. Seit 1995 lebt Purtscheller in Mexiko-City und Bressanone. Nach Österreich, wo Jörg Haiders FPÖ ihn in einer beispiellosen Hetzkampagne der Mittäterschaft an den Bombenanschlägen bezichtigt, kommt er nur noch selten.

1998/21 Zoran Djindjic

»Die Albaner brauchen Rechte, nicht Territorien«

Zoran Djindjic ist Vorsitzender der Demokratischen Partei Serbiens und war, neben Vesna Pesic und Vuk Draskovic, einer der drei Sprecher des Oppositionsbündnisses Zajedno. Nach wochenlangen Demonstrationen von Zajedno-Anhängern im Winter 1996/97 mußte Präsident Slobodan Milosevic schließlich seine Niederlage bei den serbischen Kommunalwahlen eingestehen; das daraufhin konstituierte Gemeindeparlament Belgrads wählte Djindjic zum ersten nicht-sozialistischen Bürgermeister der Stadt seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Zajedno-Frühling währte jedoch nur kurz: Im Frühsommer 1997 zerfiel die Allianz der ungleichen Partner, im Herbst desselben Jahres wurde Djindjic durch eine Allianz zwischen Sozialisten, Seseljs Ultranationalisten und Draskovic' Monarchisten gestürzt.