»Nach Trans«: Elizabeth Duval widerspricht der These, dass Geschlecht frei wählbar ist

Strategien des Seins

Die Philosophin Elizabeth Duval hat die Trans-Debatte in Spanien aufgemischt. Jetzt erscheint ihr Buch »Nach Trans« in einer überarbeiteten Fassung auf Deutsch. Wie selbstbestimmt kann Geschlecht sein?

Elizabeth Duvals vielbeachtetes Buch »Nach Trans. Sex, Gender und die Linke« soll auch schon der letzte größere Beitrag der 23jährigen Philosophin zum Thema gewesen sein. Duval, die an der Pariser Sorbonne Phi­losophie und Französische Philologie studiert hat, ist eine national bekannte Romanautorin und selbst Transfrau. Sie begann den Prozess ihrer Geschlechtsangleichung im Alter von 14 Jahren und berichtete in spanischen Medien über ihre Erfahrungen.

Mit ihrem 2021 in Spanien erschienenen Buch »Después de lo trans. Sexo y género entre la izquierda y lo identitario« wollte Duval einen Beitrag zur Auseinandersetzung um die Rechte von Trans-Personen liefern sowie Missverständnisse über Geschlecht und Trans ausräumen; aber sie will als Intellektuelle nicht lebenslang auf dieses Thema festgelegt werden, erklärt sie regelmäßig bei ihren Auftritten.

Auseinandersetzung mit Kathleen Stock und Abigail Shrier
In einem Vorwort, das eigens für die nichtspanischen Ausgaben verfasst wurde, hebt sie hervor, dass sich die Hauptkonflikte um Transgeschlechtlichkeit in vielen Ländern ähnelten – insbesondere der Streit um Gesetzesreformen, die Namens- und Personenstandsänderungen auf Basis bloßer Selbstauskunft ermöglichen wollen.

Eigens für die deutsche Übersetzung des im Verlag Klaus Wagenbach erschienenen Buchs wurden Kapitel zur Auseinandersetzung mit den Werken zweier Autorinnen ergänzt: »Material Girls. Why Reality Matters for Feminism« von Kathleen Stock und »Irreversible Damage. The Transgender Craze Seducing our Daughters« von Abigail Shrier. Nicht enthalten sind hingegen die Kapitel zur spanischen Künstlerin La Veneno und ein Briefwechsel mit Paul B. Preciado, außerdem wurde der Text dort gekürzt, wo er ausführlich die Situation in Spanien behandelt.

Duval formuliert ein Begriffsverständnis von Geschlecht, das auch den Körper und zudem psychoanalytische Erklärungsansätze mit einbezieht, wohl wissend, dass diese im Trans-Aktivismus wenig populär sind.

In einem erfrischenden, selbstbewussten Tonfall entfaltet die Autorin ihre Thesen. Ihr grundlegendes Verständnis von Geschlecht als einem mehrdimensionalen Phänomen erläutert Duval mit Rückgriff auf die US-amerikanische Feministin und Soziologin Judith Lorber, die gesellschaftliche und individuelle Faktoren von Geschlecht in den Mittelpunkt ihrer sozialkonstruktivistischen Theorie stellt. Dabei formuliert Duval aber ein Begriffsverständnis von Geschlecht, das auch den Körper und zudem psychoanalytische Erklärungsansätze mit einbezieht, wohl wissend, dass diese im Trans-Aktivismus wenig populär sind. Deutlich kritisiert sie das im queeren Aktivismus gängige Verständnis von Geschlecht als etwas Selbstbestimmtem. »Ich glaube nicht an so etwas wie die Selbstbestimmung des Geschlechts«, schreibt sie dazu.

Die Aneignung einer Geschlechts­identität sei ohne ein soziales System, innerhalb dessen Geschlechterrollen eingeübt werden, nicht möglich. In Bezug auf Transgeschlechtlichkeit verweist sie auf die lacanianische Psychoanalytikerin Patricia Gherovici, wonach trans zu sein keine Erfahrung des Habens, sondern eine Strategie des Seins sei. Ein Körper zu sein, bedeute, dass man den Körper »auf irgendeine Weise annimmt«. Psychoanalytisch begründet, werde die Geschlechtsidentität weder biologisch noch durch angeborene Faktoren bestimmt, sie werde vielmehr durch Sprache und Identifikationen erlernt. Die unbewusste Wahl der Geschlechtsidentität habe also »nichts mit einem voluntaristischen freien Willen zu tun«.

Gegenseitige Anerkennung und Respekt
Davon ausgehend begreift Duval die Entwicklung der Geschlechts als etwas, das »maßgeblich von einer dem Subjekt fremden Bestimmung geprägt wird«. Auf Trans-Personen bezogen erkennt Duval »eine symbolische und imaginäre Verschiebung der Geschlechtskonstruktion«. Diese Verschiebungen wirkten sich sowohl auf die Eigen- wie auf die Fremdwahrnehmung aus; ein Umstand, an dem kein Gesetz der Welt etwas ändern könne. Die Wahl von Umkleiden und Toiletten etwa sei kein verwaltungstechnischer Akt, vielmehr gehe es um gegenseitige Anerkennung und Respekt.

Duval widerspricht auch der radikalfeministischen Theorie, wonach die Unterdrückung der Frau in der »Materialität des biologisch weiblichen Geschlechts oder durch ihre Gebärfähigkeit« begründet sei. Vielmehr sei sie »die Folge einer historischen Konvention, die dazu führt, dass eine Vielzahl von Körpern so vergeschlechtlicht wird, dass sie der Kategorie Frau angehören«. Die Kategorisierung sei aber nicht darauf angewiesen, dass die Anatomie jedes Individuums im Detail überprüft werde, sondern es reiche, wenn die oberflächliche Wahrnehmung passe.

Die Auseinandersetzung über die Frage, was eine Frau ist, eskalierte in dem Moment, in dem Gesetzesreformen auf den Weg gebracht wurden, die die Änderung des amtlichen Geschlechtseintrags vereinfachten. In Spanien vertrat insbesondere die linke Partei Unidas Podemos dieses Anliegen. Im Dezember 2022 hat das spanische Unterhaus die Ley Trans verabschiedet, im Juli 2023 trat es in Kraft. Nun können alle Spanier ab dem Alter von 16 Jahren ihr eingetragenes Geschlecht ohne ärztliche Nachweise ändern, lediglich eine Karenzzeit von drei Monaten zwischen Antragsstellung und Wirksamwerden gibt es.

Angst und Hass
Die Gleichstellungsministerin Irene Montero hätte sich eine schnellere Verabschiedung des bereits 2021 vorgestellten Entwurfs gewünscht. Doch plötzlich aufkommender Widerstand gegen das Gesetzesvorhaben, insbesondere aus den Reihen des sozialdemokratischen Koalitionspartners PSOE und Proteste von Feministinnen, sorgte für Verzögerungen. Zudem war der signifikante Anstieg bei Minderjährigen, die sich als trans verstehen, auch in Spanien ein Thema, weshalb sich auch die Spanische Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychiatrie kritisch äußerte.

Ministerin Montero sorgte jedoch dafür, dass der Gesetzentwurf trotz dieser Widerstände durchgebracht wurde. Bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Juli 2023 scheint sich das für Unidas Podemos allerdings nicht ausgezahlt zu haben: Die Ley Trans habe in der Bevölkerung nicht den gleichen Zuspruch hervorgerufen wie 2005 die »Ehe für alle«, heißt es in einer Analyse des Redaktionsnetzwerks Deutschland.

Duval, die die Ley Trans im Grundsatz befürwortet, schreibt, dass die Auseinandersetzung um dieses Gesetz von Angst, aber auch von Hass getrieben war. Die international entfachte Aufregung gehe vor allem auf Aussagen von Joanne K. Rowling, Kathleen Stock und Abigail Shrier zurück. Da die dem Thema gewidmeten Bücher von Stock und Shrier etwa gleichzeitig mit dem Essay Duvals erschienen, konnten sie in der spanischen Erstausgabe keine Erwähnung finden. In der deutschen Ausgabe nimmt die Auseinandersetzung dafür umso mehr Raum ein.

Die an sich differenzierte Beschäftigung mit Kathleen Stock gerät bei Elizabeth Duval vor allem zu einer Verteidigung Judith Butlers.

Die an sich differenzierte Beschäftigung mit Stock gerät bei Duval vor allem zu einer Verteidigung Judith Butlers. Während sie insgesamt »Material Girls« als ernstzunehmenden Beitrag würdigt, kritisiert sie besonders Stocks Einlassungen zu Butler. Stock verwechsle den von Butler verwendeten Begriff der Performativität mit »Performance« und unterstelle Butler damit, dass diese in »Körper von Gewicht« Geschlecht als ein vollkommen von materiellen Grundlagen entkoppeltes Konstrukt begreife.

So ganz haut das aber nicht hin: Stock stellt nämlich heraus, wie Butler von ihrem bahnbrechende Werk »Das Unbehagen der Geschlechter« zu den eher halbherzig klingenden Nachjustierungen in »Körper von Gewicht« gelangen konnte. Butler schaffe es, so Stock, im selben Atemzug anzudeuten, dass es keine menschlichen Körper vor ihrer soziokulturellen Konstruktion gäbe, als auch einzuräumen, »dass da irgendwie doch so etwas wie ›Materialität‹ ist«.

Kritische Stimmen zum gender-affirmativen Ansatz
Abigail Shriers Publikation »Irreversible Damage«, in der diese die steigende Nachfrage nach geschlechtsangleichenden Behandlungen bei bio­logisch weiblichen Teenagern skandalisiert, wird von Duval regelrecht verrissen. Sie wirft Shrier wildes Spekulieren und sogar Falschdarstellungen vor, zum Beispiel wenn es um die Wirkung von Hormonbehandlungen geht. So ignoriere Shrier, dass viel mehr Menschen eine Schönheitsoperation bereuten als geschlechts­angleichende Eingriffe – ein mehr als fragwürdiger Vergleich, den Duval da anstellt.

Mittlerweile braucht es Shriers Werk, das in eher schrillen Tonlagen argumentiert, auch gar nicht mehr, um über Probleme mit dem sogenannten gender-affirmativen Ansatz bei Minderjährigen zu sprechen, denn diese sind mittlerweile offensichtlich geworden. Längst liegen Untersuchungsberichte aus Ländern wie Schweden, Finnland oder Großbritannien vor, die dem gender-affirmativen Ansatz, der im Kern eine frühe soziale Transition samt der Gabe sogenannter Pubertätsblocker vorsieht, eine nur schwache medizinische Evidenzbasis bescheinigen.

In Spanien gibt es ebenfalls kritische Stimmen, wie die der Psychologen José Errasti und Marino Pérez Álvarez, die Anfang 2022 ihr Buch »Nadie nace en un cuerpo equivocado: Éxito y miseria de la identidad de género« (in etwa »Niemand wird im falschen Körper geboren: Erfolg und Elend der Geschlechtsidentität«) veröffentlicht haben. Veranstaltungen mit den Autoren sorgten für wütende Proteste, so dass die Lesungen teils unter Polizeischutz stattfinden mussten. Dies alles spart die überarbeitete Fassung des Essays aus. Trotz dieser Schwächen ist »Nach Trans« ein anregender Beitrag, um über Geschlecht im Allgemeinen und Transgeschlechtlichkeit im Besonderen nachzudenken.


Nach_Trans_Buchcover

Elizabeth Duval: Nach Trans. Sex, Gender und die Linke. Aus dem Spanischen von ­Luisa Donnerberg. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023, 224 Seiten, 24 Euro