Jürgen Elsässers Laufbahn von links nach rechts

Der Bewegungsunternehmer

Der heutige Rechtsextreme Jürgen Elsässer war schon, als er sich noch zur Linken rechnete, an seiner Selbstvermarktung mit Hilfe politischer Bewegungen interessiert. Ende der Neunziger wurde er dafür kritisiert, dass sich sein Denken in völkischen Kategorien bewege. Unterdessen setzte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Mittwoch den Sofortvollzug des »Compact«-Verbots teilweise aus.

»Wow! Ist das etwa eine Erstveröffentlichung?« fragte Jürgen Elsässer beeindruckt, nachdem er die Artikelüberschrift »Nie wieder Vereinigung!« von Ingrid Strobl entdeckt hatte. Am Rand eines Treffens des Kommunistischen Bundes (KB) in Hamburg im Frühjahr 1989 war ihm die dritte Ausgabe der Heftreihe Piranha in die Hände geraten, die mit der Unterzeile »Sozialistischer Jugendrundbrief« von einer kleinen Redaktionsgruppe veröffentlicht wurde.Die Journalistin Ingrid Strobl saß damals im Gefängnis, es gab eine große Kampagne für ihre Freilassung. Den Artikel hatte Elsässer noch gar nicht gelesen – seine Anerkennung galt der Tatsache, dass die Erstveröffentlichung eines Textes einer prominenten Autorin gelungen war. Es sollte sich zeige, dass diese Sichtweise typisch für ihn war: Eigentlich ging es weniger um den Inhalt als um das Marketing.

Über den Umweg der Kritik an anti­serbischen Haltungen der deutschen Öffentlichkeit wurden Solidarität und Identifikation mit der serbischen Regierung unter Slobodan Milošević für Elsässer immer wichtiger.

Darin war der Genosse aus Stuttgart, der schon seit einigen Jahren vor allem aus dem Bereich der Friedensbewegung berichtete, geübt. Auf Treffen des KB ergriff er gerne das Wort, um das bereits Gesagte auf eine griffige Formel zu bringen. Viele andere Mitglieder waren Ende der achtziger Jahre verhaltener, gerade die seit den sieb­ziger Jahren Organisierten hatten oft schon eine Niederlage, eine Enttäuschung zu viel erlebt. Elsässers Motto: »Weitermachen!«

In der Anti-AKW-Bewegung hingegen, in der sich der KB in den Siebzigern und Achtzigern stark engagierte, sei er jedoch, anders als er es in seiner 2022 veröffentlichten Autobiographie, »Ich bin Deutscher – Wie ein Linker zum Patrioten wurde«, behauptet, nicht wirklich aufgefallen, sagt Jutta Ditfurth, die dort seit 1975 aktiv war, auf Nachfrage der Jungle World. Sie habe Elsässer »in Wyhl, Brokdorf, Grohnde, Malville, Kalkar und Wackersdorf nie gesehen«.

»Jürgen Elsässer ist überall sehr dominant aufgetreten und liebte es, im Mittelpunkt zu stehen«, erinnert sich Paul Stern im Gespräch mit der Jungle World. »Bei uns im Kölner KB war er als ›Gallo‹ bekannt – also als Hahn, der immer das Sagen hatte und im Hühnerhof am lautesten krähte.«

Jürgen Elsässer zu KB-Zeiten

Jürgen Elsässer zu KB-Zeiten

Bild:
Archiv 2. Juni

Auffällig ist, dass Elsässer, anders als von ihm selbst dargestellt, keine zen­trale Rolle in dem Zusammenschluss Radikale Linke (RL) in den Jahren 1988 und 1989 und der von ihr initiierten Nie-Wieder-Deutschland-Kampagne 1990 oder der sogenannten antideutschen Strömung spielte. Zwar war er als Mitglied des KB daran beteiligt – und hatte die blendende Marketing-Idee, einen Aufkleber mit Marlene Dietrich und einem Zitat von ihr: »Deutschland – Nie Wieder!« herauszubringen. Aber das Motto »Nie wieder Deutschland« geht auf die Punkband The Annoyed zurück, die es schon in den Achtzigern verwendete, auch wenn Elsässer die Urheberschaft dieses griffigen Slogans auf der Höhe der Zeit für sich beanspruchte.

In Aufrufen zu antideutschen Konferenzen der RL aus den Neunzigern findet sich unter den namentlich aufrufenden Einzelpersonen kein Jürgen Elsässer, beispielsweise für die Konferenzen »Keine Stimme für Deutschland« im Dezember 1990 oder »Kein Frieden mit Deutschland« zum 8. Mai 1995. Auf dem dicken Heft Flugschrift Radikale Linke vom März 1991 mit ihrem »Aufruf zum Antikriegsrat« vor dem Hintergrund des Zweiten Golfkriegs stehen etwa Thomas Ebermann, Jutta Ditfurth, Heiner Möller oder ­Marianne von Ilten – aber kein Elsässer.

»Ich habe ihn als einen prahlerischen, ehrgeizigen, misogynen Mann erlebt, als er noch zur Linken gehörte.« Jutta Ditfurth

»Er spielte bei den zen­tra­len Momenten der Radikalen Linken 1990 wie dem Kölner Kongress, der Organisierung der Frankfurter Demonstration oder in der Koordination keine Rolle«, sagt Paul Stern. Daran, dass er etwa zurückhaltend aufgetreten wäre, hat es nicht gelegen: »Ich habe ihn als einen prahlerischen, ehrgeizigen, misogynen Mann erlebt, als er noch zur Linken gehörte«, meint Jutta Ditfurth.

In der antideutschen Minderheit des KB, die sich später als Gruppe K formierte, die bald schon wieder zerbrach, fiel Elsässer durch steile Thesen auf. »Beim Treffen der Minderheit am 24. November 1990 in Hamburg bezog sich Elsässer auf den damals forcierten Zuzug von Sowjetdeutschen in die BRD«, erinnert sich Paul Stern, und habe vorgeschlagen, sie »mit einer Atombombe zu neutralisieren«.

Überhaupt der Volksbegriff – Jürgen Elsässer unterschied schon hier in gute Völker, schlechte Völker. Völkisches Denken an sich zu kritisieren, war nicht das Seine. Über den Umweg der Kritik an antiserbischen Haltungen der deutschen Öffentlichkeit wurden Solidarität und Identifikation mit der völkischen Politik und kriegerischen Aggression der serbischen Regierung unter Slobodan Milošević für Elsässer immer wichtiger – die im Kern nicht besser war als die des Präsidenten von Kroatien, Franjo Tuđman.

Elsässer blieb unbeirrt serbisch-national

Letztlich lief das darauf hinaus, beispielsweise in der Konkret die muslimische Bevölkerungsgruppe des Kosovo, die in »wilde Barbarei zurückstürzen« würde, abzuwerten oder das Massaker serbischer Milizen an Muslimen aus Bosnien in Srebrenica zu bagatellisieren. Obwohl ihm in Konkret Autor:innen widersprachen, blieb Elsässer unbeirrt serbisch-national. In der Jungle World erschien daraufhin Anfang 2000 das Dossier »Kein Aufstand im Stamm der Anti­deutschen – Warum antideutsche und antiherrschaftliche Kritik zusammen­gehören. Eine Kritik an Jürgen Elsässer und anderen« von der Gruppe Demontage.

»Elsässers verklärter Blick auf den Nationenbegriff zieht weitere Fehleinschätzungen nach sich. Die Zuschreibungen an ethnisierte Gruppen werden bei Elsässer essentialistisch, das Prozesshafte, Dynamische hingegen geht verloren«, schrieb die Gruppe. So gab es bereits damals Kritik daran, dass Elsässers Vorstellungen durchaus offen für Ethnonationalismus waren. Sein heftiger Antiamerikanismus, der sich während des Kosovo-Kriegs offen zeigte und in Elsässers Publikationen wie »Der deutsche Sonderweg« (2003) dann endgültig bestimmend wurde, tat ein ­Übriges.

Marit Hofmann, die lange das Kulturressort von Konkret verantwortete und, wie sie sagt, »darin etwa queerfeministische Akzente gesetzt hat, die Elsässer nicht gefallen haben«, bemerkt im Gespräch mit der Jungle World: »Es ist fatal, dass Konkret unter anderem diesen Teil der Magazingeschichte, zu dem das Stützen des serbischen Nationalismus, das Leugnen von Massakern und das Bedienen von Verschwörungstheorien nach 9/11 gehört, bis heute nicht aufgearbeitet hat.«

»Als Redakteur, als der er laut Impressum ausgewiesen war, war er jedenfalls auch deshalb nicht sehr hilfreich, weil er fast nur an seiner Selbstvermarktung arbeitete, die immer mehr in Richtung Volkstribun ging.« Marit Hofmann, ehemalige Konkret-Kulturredakteurin

Von 1999 bis 2002 war Elsässer Konkret-Redakteur. »Als Redakteur, als der er laut Impressum ausgewiesen war, war er jedenfalls auch deshalb nicht sehr hilfreich, weil er fast nur an seiner Selbstvermarktung arbeitete, die immer mehr in Richtung Volkstribun ging«, erinnert sich Marit Hofmann. »Das entsprechende Publikum fand er rechts und nicht links.« Ende 2002 wurde Elsässer bei Konkret entlassen. In der Jungle World, die er 1997 mitgründete, konnte er nach 1998 nur noch wenige Texte unterbringen. Sein serbisch-nationaler Kurs stand dem entgegen.

»Wobei es auch in der Linken eine bis heute kaum hinterfragte Tendenz gab zur Idealisierung von journalistischen Wortführern – Frauen meine ich hier nicht mit – bei denen auch offensichtlicher Blödsinn allenfalls hinter vorgehaltener Hand kritisiert wurde«, merkt Marit Hofmann an. Dies gilt nicht nur im Journalismus. Es gibt immer wieder charismatische Personen, die die Organisationen, denen sie angehören, für das eigene Marketing ausnutzen, ihre Zugehörigkeit aber auch genauso schnell wieder aufgeben.

Schon immer ein Hasardeur

Umgekehrt gilt natürlich auch, dass Organisationen solche Vermarktungs­talente um des Erfolgs willen für sich nutzen wollen und sich damit schaden. Oder, wie ein langjähriges Hamburger KB-Mitglied meint: »Elsässer war schon immer ein Hasardeur. Wir sollten uns als Linke dafür schämen, einer solchen Person Einfluss gewährt zu haben.«

Umso klarer drücken sich jetzt die vom Autor Befragten, die mit Elsässer früher zu tun hatten, aus, wenn es um das Verbot der Firmen rund um das Magazin Compact, dessen Chefredakteur Elsässer war, geht. »Bravo, Nancy!« bringt es ein ehemaliges Mitglied des KB im Gespräch zum Ausdruck. Das Einzige, was man in diesem Kreis kritisieren würde, ist, dass das Verbot nicht nach Artikel 139 des Grundgesetzes erfolgt ist, der die Fortgeltung der Entnazifizierungsvorschriften der Alliierten garantiert. Oder, um dem Marketingmeister Elsässer einen antideutschen Slogan hinterherzurufen: Lest und lebt das Potsdamer Abkommen!

Ob dies erfolgversprechender gewesen wäre, sei dahingestellt. Fakt ist, am heutigen Mittwoch (14.8.) setzte das Bundesverwaltungsgericht den Sofortvollzug des Compact-Verbots teilweise aus. Womöglich war »Bravo, Nancy!« doch noch etwas zu voreilig.