Interview

1998/51 Antje Radcke

»Wir müssen urgrüne Inhalte umsetzen«

Eine Nachfolgerin für Jürgen Trittin als Parteisprecher zu finden, war für die Grünen nicht einfach. Erst zwei Wochen vor der Wahl fand sich eine Kandidatin: Antje Radcke. Die 38jährige Sprecherin der Hamburger Grünen gilt als Vertreterin des linken Parteiflügels. Sie trat nach dem sogenannten "Asylkompromiß" 1993 aus der SPD aus und wenig später den Grünen bei. Am vergangenen Wochenende wurde sie zur Sprecherin der Bundespartei gewählt.

Sie sei vor allem deshalb für den Posten der Parteisprecherin geeignet, hatte Radcke in ihrer Bewerbung geschrieben, weil sie schon im Hamburger Landesvorstand den Wechsel von der Oppositions- zur Regierungspartei begleitet habe. Damit sich die Basis nicht zu einem "Anhängsel der Regierenden degradiert" fühle, will die neue Vorstandssprecherin die Rolle der Partei stärken und die Basis aktiver einbeziehen.

1998/50 Martin van Bruinessen

»Öcalan will in die Rolle Dimitroffs schlüpfen«

Der PKK-Chef Abdullah Öcalan hat es höchstpersönlich angekündigt: Die kurdische Guerilla-Gruppe will ihre bewaffnete Politik beenden. Nun ist Diplomatie angesagt. Wird Öcalan in die Fußstapfen Arafats treten? Oder doch weiter den ungeliebten Guerilla-Chef abgeben? Martin van Bruinessen lehrt Turkologie und Kurdologie an der Universität Utrecht, 1996 bis 1997 war er Gastprofessor für Kurdologie an der FU Berlin. Seine Dissertation erschien als Buch in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Agha, Sheikh und Staat" (Ed. Parabolis, Berlin 1989) und gehört zu den Standardwerken über die kurdische Gesellschaft.

1998/49 Ignatz Bubis

»Deutschland wird sich nicht abkapseln können«

Argumentative Schützenhilfe erhielt Kanther-Nachfolger Otto Schily vergangene Woche von seinem Bundeskanzler: Gerade weil ihm so viel an dem "anspruchsvollen Vorhaben" einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts liege, so Gerhard Schröder, sei er mit Schilys "Festlegung" einverstanden, daß "zusätzliche Zuwanderung nach Deutschland nicht verkraftbar ist". Auf republikanisch: Das Boot ist voll. Wer es bis jetzt an Bord geschafft hat, kriegt noch eben eine Fahrkarte zugesteckt, der Rest möge bitte schwimmen.

Sollten die beiden SPD-Männer ihre Vorstellungen umsetzen, so hätte das außer für zahlreiche andere Flüchtlinge aus vielen Teilen der Welt auch Folgen für jüdische Immigranten aus Osteuropa, die bislang relativ leicht nach Deutschland einwandern konnten. Ignatz Bubis, Mitglied der FDP und Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, tritt für ein Einwanderungsgesetz mit Quoten - auch für jüdische Immigranten - ein.

1998/48 Monika Haas

»Ich war weder RAF- noch Geheimdienstfrau«

Der Prozeß gegen die Frankfurterin Monika Haas (50) ging am 16. November zu Ende. Das langwierige Verfahren schien für Nichtjuristen beinahe undurchschaubar. Dabei handelte es sich um eine brisante Angelegenheit, die da hätte aufgeklärt werden können: Wer hat eigentlich von der Schleyer- und Landshut-Entführung im Jahre 1977 vorher gewußt? Gab es wirklich - wie vom Ministerium für Staatssicherheit behauptet - Geheimdienstler, die mitgemacht haben? Verschenkte Gelegenheit, sagt die Verurteilte. Da sollte dichtgehalten werden, was irgendwie dichtzuhalten war. Weder Agentin noch Waffenschmugglerin sei sie gewesen, und Kronzeugin wollte sie nicht werden. So viel Hartnäckigkeit kostet fünf Jahre Haftstrafe, wovon Monika Haas die Hälfte bereits abgesessen hat, der Rest wurde auf Bewährung ausgesetzt.

1998/47 Uwe Wesel

»Die Ausweisung ist reiner Populismus«

Zuletzt hatte sich sogar das Auswärtige Amt in den Fall eingemischt - die von der bayerischen Landesregierung verlangten und für die Abschiebung des 14jährigen "Mehmet" notwendigen Dokumente wollte es nicht ausstellen. Doch nach über sieben Monaten juristischer Auseinandersetzung setzte das Bundesverwaltungsgericht dem Streit um die Abschiebung des in Deutschland geborenen, von den Medien als "Serien"- und "Intensiv"-Täter abgestempelten Türken am vergangenen Donnerstag ein Ende: Es lehnte den von "Mehmets" Anwalt gestellten Antrag auf Erlaß einer Einstweiligen Anordnung gegen die Abschiebung ab. Daraufhin schob die bayerische Landesregierung den Jugendlichen am Samstag vom Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen nach Istanbul ab. Uwe Wesel ist Jura-Professor an der Freien Universität Berlin.

1998/46 Christian Stolzenburg

»Thierse erkennt man am geduckten Gang«

Die Betten der Dienstvilla des Bundestagspräsidenten in Berlin-Schmargendorf bleiben leer, die 640 Quadratmeter Nutzfläche werden nur noch für Repräsentationstermine des Präsidiums genutzt. Ob die Nobelabsteige, die seine Vorgängerin Rita Süßmuth ausgewählt und umbauen hat lassen, Wolfgang Thierse nicht gefallen hat? Die Kneipiers vom Prenzlauer Berg in Berlin können sich jedenfalls freuen. Ossibär Thierse, der frisch rasiert plötzlich das zweithöchste Amt im Staate bekleidet, bleibt am Kollwitzplatz in seiner Dreieinhalbzimmer-Wohnung mit großer Küche wohnen. Der Bundestagspräsident, in Personalunion offensichtlich Superminister für Bodenständigkeit, kauft auch weiterhin billigen Rotwein im Lebensmittelgeschäft, wie ein Nachbar weiß, und betrinkt sich nach wie vor in der Kneipe um die Ecke mit den Jungs von nebenan. Ein Gespräch mit Christian Stolzenburg, dem Wirt von Thierses Stammlokal "1900".

1998/45 Helmut Zilk

»Wir haben über alles gesprochen«

Seit einer Woche wird Österreich von einem skurrilen Geheimdienst-Skandal heimgesucht: Der tschechische Senator Vaclav Benda wirft dem ehemaligen Wiener Oberbürgermeister Helmut Zilk vor, in den sechziger Jahren als Journalist des Österreichischen Rundfunks für den Geheimdienst der Tschechoslowakei spioniert zu haben. Eine geplante Ordensverleihung durch Tschechiens Präsident Vaclav Havel mußte deshalb kurzfristig abgesagt werden.

Doch nun befindet sich der tschechische Präsident in einer peinlichen Lage: Abgesehen davon, daß die Vorwürfe gegen Zilk aus der Luft gegriffen zu sein scheinen, ist der Verdächtige in Österreich nicht ganz ohne Einfluß. Zilk hat nicht nur jahrelang die österreichische Hauptstadt regiert, sondern er ist auch ehemaliger Direktor des staatlichen Fernsehens ORF, ehemaliger Wiener Stadtrat, Ex-Unterrichts- und Kulturminister und graue Eminenz der regierenden Sozialdemokraten. Österreichs Bundeskanzler Viktor Klima gehört zu seinen engsten Freunden. Ebenso Bundespräsident Thomas Klestil, dem er noch im Frühling dieses Jahres zur Wiederwahl verholfen hat.

Im Dezember 1993 verlor der populäre Zilk durch einen Briefbomben-Anschlag der rechtsextremen Bajuwarischen Befreiungsarmee mehrere Finger der linken Hand.

1998/44 Frieder Otto Wolf

»Ein Krisensymptom für Rot-Grün«

Direkt vor der Beethovenhalle, wo zu dieser Zeit der Parteitag der Grünen stattfand, kesselte die Polizei am vergangenen Wochenende in strömendem Regen rund 400 Demonstranten ein, die gegen einen Nazi-Aufmarsch anläßlich der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" protestiert hatten. Zahlreiche grüne Delegierte setzten sich dafür ein, den Kessel aufzulösen, doch die polizeiliche Einsatzleitung ließ sich nicht beeindrucken: Erst nach sieben Stunden ließ sie die vollkommen durchnäßten Demonstranten frei. - Frieder Otto Wolf ist Bundestagsabgeordneter der Grünen.

1998/42 Claudia Roth

»Auf Recht bestehen«

Gegen das eingeschränkte Asylrecht, Abschiebehaft sowie das Asylbewerberleistungsgesetz und für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht waren die Grünen im Wahlkampf angetreten. In diesen Tagen nun wird sich entscheiden, ob solche Forderungen in einer SPD unter Führung von Gerhard Schröder durchzusetzen sind.

Claudia Roth ist Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament, wurde nun zur Bundestagsabgeordneten gewählt und zählt zu den Anwärterinnen für das Amt der Ausländerbeauftragten einer rot-grünen Bundesregierung.