Interview

2010/36 Jürgen Roth im Gespräch über organisierte Kriminalität im Kosovo

»Ohne Kriminalität wäre das Kosovo nicht überlebensfähig«

Der Journalist Jürgen Roth hat sich in Büchern und Dokumentationen immer wieder mit Korruption, Mafiastrukturen und der Organisierten Kriminalität in Osteuropa befasst. Sein vorerst letztes Buch ist gera­de erschienen: »Gangsterwirtschaft – wie uns die organisierte Kriminalität aufkauft«. Im Juli hat er wieder im Kosovo über die kriminellen Strukturen des Landes und der Region recherchiert.

2010/34 Janet Korman im Gespräch über ihren Vater, der vor KZ-Toren zu »I will survive« tanzte

»Meine Familie hat immer Tanzpartys gegeben«

Die australische Künstlerin Janet Korman filmte ihren Vater, den Holocaust-Überlebenden Adam Kohn, wie er mit seinen Enkelinnen und Enkeln zu Gloria Gaynors Megahit »I will survive« vor dem Tor des Vernichtungslagers Auschwitz und vor anderen Konzentrationslagern tanzt. Das Video »Dancing Auschwitz« wurde im ­Internet millionenfach abgerufen und löste teils große Empörung, teils auch Begeisterung aus.

2010/32 Simone Kellerhoff im Gespräch über die Arbeit der autonomen Hurenorganisation Hydra

»Die meisten sind eben keine Opfer«

Vor 30 Jahren wurde die autonome Hurenorganisation »Hydra e.V.« gegründet, die sich für die Interessen von Sexarbeiterinnen einsetzt und ihnen Beratung anbietet. Seit 1980 hat sich deren Situation verändert. 2002 trat das »Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten« in Kraft, das die rechtliche und soziale Stellung von Prostituierten verbesserte. Doch das Ziel des Vereins, die Entstigmatisierung des Gewerbes, ist auch nach 30 Jahren nicht erreicht. Simone Kellerhoff ist zuständig für Gesundheitsprävention, Frauenhandel und Lobbyarbeit bei Hydra e.V.

2010/31 Roya Boroumand im Gespräch über eine neue Studie zu den Gefängnismassakern von 1988 im Iran

»Die Massaker waren entscheidend«

Roya Boroumand ist Direktorin der Abdorrahman-Boroumand-Stiftung, die jüngst eine Studie über die Gefängnismassaker im Iran im Jahr 1988 herausgebracht hat. Diese belastet unter anderen den heutigen religiösen Führer und damaligen Präsidenten Ayatollah Khamenei. Aber auch Mir-Hossein Mousavi, der heute als Führungsfigur der »Grünen Bewegung« gilt und in der Zeit der Massaker Premierminister war, wird erwähnt. Iranische Oppositionelle werfen der in Washington ansässigen Stiftung vor, ihre Publikation drohe Mousavi und damit die Oppositionsbewegung zu schwächen. Boroumand ist Historikerin und hat insbesondere zur iranischen Geschichte nach 1945 geforscht.
2010/30 Judith Butler im Gespräch über Rassismus, Homophobie und Antisemitismus

»In diesem Kampf gibt es keinen Platz für Rassismus«

Judith Butler hat mit ihren Theorien zu Sex und Gender den Poststrukturalismus erweitert und den Feminismus revolutioniert. In der letzten Zeit hat sie sich verstärkt der Antikriegsbewegung zugewandt. In ihrem aktuellen Buch »Raster des Krieges« widmete sie sich der Frage nach der Bewertung von Leben. Mit einer Aussage zum Nahost-Konflikt bei einem Teach-In 2006 in Berkeley, die islamistischen Terrororganisationen Hamas und Hizbollah seien »progressiv« und »links«, hat sich Butler scharfe Kritik eingehandelt. Aufmerksamkeit erregte die Theoretikerin und Aktivistin jüngst auch damit, dass sie den »Preis für Zivilcourage« ablehnte, der ihr anlässlich des diesjährigen CSD in Berlin verliehen werden sollte. Butler nahm die Ehrung nicht an, da sich der CSD nicht genügend von Rassismus distanziere. Butler ist Professorin für Rhetorik und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität in Berkeley. Das Interview wurde per E-Mail geführt.

2010/29 Laura Póllan im Gespräch über die Repression gegen Dissidenten in Kuba

»Wir werden unsere Demonstrationen fortsetzen«

Laura Pollán ist eine der Gründerinnen der »Damas de Blanco«. Die Frauenorganisa­tion hat sich im Anschluss an die Verhaftung von 75 Oppositionellen, der sogenannten »Gruppe der 75«, gegründet, die im Frühjahr 2003 zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Darunter war auch Laura Polláns Ehemann, der ehemalige Atomingenieur und Dissident Hector Maseda Gutiérrez. Anfang Juli hat die katholische Kirche bekanntgegeben, dass die Regierung die restlichen 52 Gefangenen der »Gruppe der 75« in den kommenden Monaten aus der Haft entlassen wird.

2010/28 Jeffrey Herf im Gespräch über islamistische Formen des Antisemitismus

»Das Bild der Dritten Welt wird sich verändern«

Jeffrey Herf ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität von Maryland, USA. Er forscht und publiziert zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, vor allem zu National­sozialismus und Holocaust sowie ihren Nachwirkungen. Als bisher einziger seiner Titel auf Deutsch erschienen ist »Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland« (Propyläen 1998). Zuletzt erschien sein Buch »Nazi Propaganda for the Arab World« (Yale Univer­sity Press 2009).

2010/27 Saeed Ghaseminejad über den Israelhass iranischer Exiloppositioneller

»Alle waren sie gegen Israel«

74 prominente Exiliraner unterzeichneten kürzlich ein Solidaritätsschreiben für die Aktivisten der »Gaza Freedom Flotilla«, in dem sie behaupteten, das Vorgehen des israelischen Staates gegen die Blockadebrecher sei vergleichbar mit der Gewalttätigkeit der Islamischen Republik Iran. Die Ereignisse auf der »Mavi Marmara«, so der offene Brief der 74 Exiliraner, hätten gezeigt, dass »Israel von Natur aus nach Besatzung und Kampf« strebe. Saeed Ghaseminejad, Sprecher der Liberalen Studenten Irans und Direktor des Centre Iranien d’etudes du Liberalisme, hat diesen offenen Brief scharf kritisiert und einen bisher von 27 Exiliranern unterzeichneten Gegenbrief verfasst. Ghaseminejad ist Ingenieur und lebt in Paris.

2010/26 Padeluun im Gespräch über die Volkszählung 2011

»Ich will nicht zum Lügen gezwungen sein«

Ein Bündnis verschiedener Datenschutz­organisationen will die Volkszählung 2011 durch eine Verfassungsbeschwerde stoppen. In der Kampagne gegen den »Zensus 2011«, wie die Volkszählung offiziell heißt, engagiert sich auch der Datenschutzaktivist und Künstler Padeluun. Er ist Vorsitzender der Datenschutzorganisation Foebud, engagiert sich im Arbeitskreis Vorrats­datenspeicherung und ist Jurymitglied des deutschen Big Brother Award.

2010/25 Alessandro Dal Lago über Roberto Saviano und dessen Bestseller »Gomorrha«

»Der Heldendiskurs gehört zur Rechten«

Der Soziologe Alessandro Dal Lago hat sich in Italien viele Feinde gemacht, weil er es wagte, den italienischen Autor Roberto Saviano zu kritisieren, der mit seinem Bestseller »Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra« weltberühmt wurde. Saviano, der wegen seines Buches über die Kriminalität der süditalienischen Mafia Todesdrohungen erhält, wird von vielen Italienern als Held gefeiert. Dal Lago bezeichnete ihn dagegen als »Papierhelden« und hat damit große Entrüstung ausgelöst.