Der Jahresbericht über antisemitische Vorfälle in Hessen beleuchtet die Auswirkungen der Documenta

Die Documenta schafft Angst

Erstmals liegt ein Jahresbericht zu antisemitischen Vorfällen in Hessen vor. Darin dominieren vor allem Vorfälle, die im Zusammenhang mit der Documenta fifteen stehen.

Für Jüdinnen und Juden habe die Documenta fifteen 100 Tage lang zusätzliche Angst vor antisemitischen Anfeindungen im Alltag bedeutet. Mit diesem Fazit schließt der jüngst veröffentlichte Jahresbericht über antisemitische Vorfälle der Recherche- und Informationsstelle Hessen (Rias Hessen). Insgesamt registrierte die Recherchestelle 179 antisemitische Vorfälle in Hessen im vergangenen Jahr – also etwa an jedem zweiten Tag im Jahr einen.

Es ist der erste derartige Jahresbericht aus Hessen. Erst im März vergangenen Jahres nahm die Recherchestelle ihre Tätigkeit auf. Entstanden ist sie in Kooperation mit der Stadtverwaltung Wiesbaden und der Jüdischen Gemeinde der Stadt. Träger ist das Demokratiezentrum Hessen an der Philipps-Universi­tät Marburg. Die Auseinandersetzung mit der Documenta habe das erste Tätigkeitsjahr von Rias Hessen wesentlich geprägt, heißt es im Bericht.

Ihm zufolge erreichten antisemitische Vorfälle während der Weltkunstausstellung in Kassel ihren Höhepunkt und blieben während deren gesamter Dauer auf einem hohem Niveau. Von den 52 in Kassel dokumentierten Fällen stehen demnach 38 in direktem Zusammenhang mit der Documenta. Zwölf davon betrafen ausgestellte Kunstwerke; neben den bekannten waren auf der Ausstellung weitere Werke gezeigt worden wie Illustrationen der Gruppe »Archives des luttes des femmes en Algérie«, die israelische Soldaten als Killerroboter mit Schweinenasen und Davidsternen auf ihren Helmen zeigten. Von den Exponaten abgesehen zählt der Bericht 26 Vorfälle; 24 davon werden als israelbezogener Antisemitismus kategorisiert. Laut Rias Hessen wirkte sich dies für viele Jüdinnen und Juden in Hessen und darüber hinaus »konkret auf ihren Alltag aus und beeinträchtigte auch das individuelle Sicherheitsempfinden.«

Dem Bericht zufolge erreichten antisemitische Vorfälle während der Weltkunstausstellung in Kassel ihren Höhepunkt und blieben während deren gesamter Dauer auf einem hohem Niveau.

Aber auch außerhalb Kassels habe die Kunstausstellung Antisemiten offenkundig ermutigt: »Im gesamten Bundesland Hessen, aber auch darüber hinaus wurden Vorfälle mit Bezug zu der Kunstausstellung registriert.« Im Bericht wird deshalb von einer »Gelegenheitsstruktur für Antisemitismus« gesprochen, die durch die Documenta entstanden sei. Ein Fahrgast einer Frankfurter S-Bahn habe in einem Gespräch beispielsweise geäußert, dass keine Israelis an der Ausstellung teilnehmen würden, weil diese stattdessen »Kinder erschießen«.

Rias Hessen dokumentierte zudem antisemitische Beleidigungen, die ­online oder per Post Einzelpersonen erreichten, sowie Vorfälle im privaten Umfeld von Betroffenen, die einen direkten Bezug zur Documenta fifteen hatten.

Noch bevor die Kunstwerke für die Öffentlichkeit zugänglich waren, verwies das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel (BgA) auf die Sympathien, die manche Organisatoren und ein­geladene Künstlergruppen mit der antisemitischen BDS-Bewegung hegten. Die Resonanz auf die Kritik des BgA und anderer erbrachte jedoch nicht die gewünschte Auseinandersetzung mit israelbezogenen Antisemitismus. Stattdessen warf etwa die Süddeutsche Zeitung den Kritikern an der Documenta fifteen einen »antiislamischen Grundton« vor, der Historiker Ulrich Schneider meinte, dem Bündnis gehe es nur darum, Menschen zu denunzieren, die »die Besatzungspolitik Israels kritisch sehen«, und dass ihre Kritik »rassistisch motiviert« sei, war auch von vielen Seiten zu hören. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) versicherte zu Beginn der Ausstellung noch, ihr sei zugesichert worden, dass keine antisemitischen Exponate ausgestellt würden.

Das erwies sich bekanntlich als falsch. Spätestens seit der Enthüllung des riesigen Triptychons der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi mit dem Titel »People’s Justice« erwies sich die Kritik des BgA als berechtigt. Das Banner zeigte unter anderem einen jüdischen Mann mit Fangzähnen und SS-Runen auf dem Hut sowie einen als Schwein dargestellten Mossad-Agenten. Es folgten weitere antisemitische Exponate. Schließlich wurde ein Gremium berufen, um die antisemitischen Inhalte aufzuarbeiten. Der Abschlussbericht des Expertengremiums bestätigte, dass die Documenta als »Echokammer für israelbezogenen Antisemitismus und manchmal auch für Antisemitismus pur« fungiert habe.

Der Jahresbericht von Rias Hessen zeigt nun einmal mehr, dass die Documenta in Kassel eine Atmosphäre geschaffen hat, die verschiedene Formen des Antisemitismus begünstigte. Er veranschaulicht zudem die Gefahr für Jüdinnen und Juden, die von israelbezogenem Antisemitismus ausgeht – der weiterhin vielfach als »Israelkritik« ­bagatellisiert wird.