Interview

2000/21 Gabriele Zimmer, PDS-Fraktionsvorsitzende in Thüringen

»Wir brauchen breite Bündnisse«

Bisky geht, Zimmer kommt: So will es zumindest der PDS-Bundesvorstand. Ein paar Intrigen reichten aus, um die bisherige Anwärterin auf den Posten der Vorsitzenden, die Berliner Landeschefin Petra Pau, zu kippen, dann hatte selbst der Vertreter der Kommunistischen Plattform nichts mehr gegen die Vorstands-Kandidatin einzuwenden: Gabriele Zimmer, die 45jährige PDS-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, soll auf dem Parteitag im Oktober in Cottbus zur neuen Vorsitzenden der Demokratischen Sozialisten gewählt werden.

2000/20 Marco Boato, Abgeordneter der italienischen Grünen

»Die öffentliche Meinung ist auf der Seite von Sofri«

Freisprüche für Giulio Andreotti und Silvio Berlusconi, eine Verurteilung zu mehr als zwanzig Jahren Haft wegen Mordes an dem Polizeikommissar Luigi Calabresi für Ovidio Bompressi, Giorgio Pietrostefani und Adriano Sofri, drei ehemalige Mitglieder der außerparlamentarischen Organisation Lotta continua - die italienische Justiz ist nie um originelle Urteile verlegen. Vergangene Woche hat das Internationale Parlament der Schriftsteller einen Appell an den italienischen Staat und die EU zum Fall Sofri veröffentlicht, in dem die drei als Opfer eines »skandalösen« politischen Urteils bezeichnet werden. Die Verurteilung für die Ermordung Calabresis basiert auf den Aussagen eines unglaubwürdigen Kronzeugen (Jungle World, 34/97 und 28/98).

Marco Boato war Mitglied von Lotta continua. Heute sitzt er für die Grünen im italienischen Parlament.

2000/19 Tanil Bora, Herausgeber der türkischen Zeitschrift 'Birkim'

»Ein Präsident ohne Eigeninitiative«

Im vergangenen Jahr hatte der Präsident des türkischen Revisionsgerichts, Sami Selçuk, gegen das Establishment gepoltert (Jungle World, 38/99). Richter ist Richter und Türke ist Türke, sagt sich die deutsche Presse, verwechselt Selçuk mit dem letzte Woche zum Staatspräsdenten gewählten Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Ahmet Necdet Sezer, und feiert ihn als Vorboten der Demokratie am Bosporus. Wie aber nehmen Linke die neuen Entwicklungen wahr? Tanil Bora ist Politologe und Mitherausgeber der sozialistischen Kulturzeitschrift Birikim, dem Forum der intellektuellen Linken in der Türkei.
2000/18 Luis Bassegio

»Die Basis hat Priorität«

Nur knapp hat die Arbeiterpartei (PT) in Brasilien in den letzten Jahren den Wahlsieg verpasst. Seitdem hat sich die Linke im Parlament und in den Regierungen einiger Bundesstaaten etabliert. Doch mit den parlamentarischen Erfolgen hat auch die Dynamik der sozialen Bewegungen verloren. Alternativen zum neoliberalen Dogma scheinen heute kaum noch denkbar zu sein.

Die linken Parteien seien zu angepasst, kritisiert daher seit einiger Zeit die Consulta Popular (etwa: Befragung der Basis), die u.a. der Landlosenbewegung MST und dem linken Flügel der katholischen Kirche nahe steht. Mit Erfolg: Der Consulta Popular gelingt es nicht nur, wieder Zehntausende zu mobilisieren, sondern auch eine breite Debatte über Alternativen in der Politik zu initiieren.

Luis Bassegio ist Leiter der Pastoral-Kommission der Immigration in S‹o Paulo, einer der Hauptorganisatoren der Consulta Popular und Mitautor des Buches »A op ç ‹o brasileira« (»Der brasilianische Weg«). Zur Zeit befindet er sich, u.a. auf Einladung des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), auf einer Vortragsreise durch Deutschland und die Schweiz.

2000/17

»Die Linke ist immer in der Krise«

Am Thema kann es nicht gelegen haben. Das war richtig gewählt: Um »Produktivität und Existenz« sollte es in der neuen Ausgabe der Beute aus dem linken Berliner ID-Verlag gehen. Aber der für Oktober 1999 angekündigte Band ist bis heute nicht erschienen. Jetzt wird noch mal neu über die Beute nachgedacht. Ausstellen statt abdrucken: Im Kontext ihrer Ausstellung zum Problem von »Produktivität und Existenz« im Berliner Kunstamt Kreuzberg/Bethanien wollen die Herausgeber das Anfang der Neunziger gegründete Projekt zur Diskussion stellen.

2000/16 Grissemann und Stermann

»Wir beleidigen immer«

Ein Satz, kein Schuss, zwei Männer: »Ich glaube, wenn man Haider derzeit stoppen wollte, dann müsste man ihn erschießen.« Zu diesem Schluss kamen die beiden Kabarettisten Christoph Grissemann und Dirk Stermann im Oktober 1999 in einem satirischen Gespräch mit der oberösterreichischen Kulturzeitschrift rödr@nner. Und das, wie sie betonen, im alkoholisierten Zustand.

Für die FPÖ ist das Interview ein Fall von Anstiftung zum Mord. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet, die Satiriker wurden vorläufig ausgeschaltet: Der ORF, insbesondere der Hörfunksender FM 4, hat die beiden vom Dienst suspendiert. Grissemann und Stermann brauchen sich aber nicht zu langweilen. Bis es im ORF für sie weitergeht, vertreiben sie sich die Zeit mit Urlauben, Live-Auftritten oder bei Radio Eins in Berlin, wo sie die »Show Royale« moderieren.

2000/15 Anarchosyndikalist Michail Magid über Russlands Kriegsregierung

»Der Schrecken wurde Instrument der Politik«

Den Wahlkampf führte Wladimir Putin ohne Programm, und auch die Einschätzung seiner Persönlichkeit stößt auf Schwierigkeiten: Sein Lebenslauf weist, wie es sich für einen Geheimdienstler gehört, einige Lücken auf. Sicher ist nur: Sein anscheinend unaufhaltsamer Aufstieg begann mit dem zweiten TschetschenienóKrieg, und er wurde von den mafiösen KremlóKreisen um den ExóPräsidenten Boris Jelzin ausgesucht und aufgebaut.

Michail Magid ist Mitglied einer anarchosyndikalistischen Gruppe in Moskau.

2000/14 Gewerkschafter Bonisile James Mzeku zum Streik bei VW in Südafrika

»VW bekommt genug billige Arbeitskräfte«

Hohe Ziele, niedrige Erwartungen, keine Erfolge - der Afrika-Europa-Gipfel, der Anfang der Woche in Kairo stattfand, endete ohne einschlägige Ergebnisse. Auch die Reise des deutschen Außenministers nach Südafrika, Namibia und Mo ç ambique lieferte den afrikanischen Staaten keinen Grund zum Optimismus. Für die schwarzen Townships zeigte Joseph Fischer erwartungsgemäß ebensowenig Interesse wie für die Situation in den deutschen Betrieben auf südafrikanischem Boden: »Ein universal gültiges Demokratie-Modell, das man einfach übertragen kann, gibt es nicht.« Und so bleiben verschärfte Ausbeutung und rigide Betriebsführung auf der Tagesordnung. Etwa beim Volkswagen-Werk im südafrikanischen Uitenhagen: Der Betrieb wird seit drei Monaten bestreikt, nachdem 13 Vertrauensleute entlassen wurden. Bonisile James Mzeku, seit 19 Jahren bei VW beschäftigt, ist stellvertretender Vorsitzender des im Streik gegründeten Krisen-Komitees.

2000/13 Die Pathologin Helena Ranta über das angebliche Massaker von Racak

»Ich werde Racak neu untersuchen«

Es war der 15. Januar 1999: Glaubt man der Anklageschrift des Haager Kriegsverbrechertribunals, so kam es an diesem Tag zu einem »Mord an 45 kosovo-albanischen Zivilisten« - ausgeführt von Sicherheitskräften Jugoslawiens und Serbiens. In einem special report der OSZE hieß es nur wenige Tage später, dass viele der Opfer aus »extremer Nahdistanz erschossen« worden seien. Geschehen sein soll das angebliche Massaker - von dem der deutsche Außenminister später sagen sollte, es sei für ihn »der Wendepunkt« gewesen - in Racak, einem Dorf unweit der Provinzhauptstadt Pristina.

Ein Jahr nach dem Beginn des Nato-Angriffs auf Jugoslawien mehren sich nun die Anzeichen, dass es in Racak kein Massaker gegeben hat. Der deutsche OSZE-Beobachter Henning Hensch äußerte letzte Woche in den »Tagesthemen«, die »von uns als Massaker dargestellten Vorgänge« seien »eigentlich militärische Auseinandersetzungen gewesen«.

Und plötzlich tauchen auch Schreiben wieder auf, die der Öffentlichkeit lange nicht zugänglich waren: Die forensischen Autopsie-Protokolle eines finnischen Pathologen-Teams unter der Leitung von Helena Ranta. Aus ihnen geht hervor, dass es keine Hinweise auf Hinrichtungen in Racak gibt. Im Gegenteil: Nur bei einem Opfer seien Spuren entdeckt worden, die auf einen Schuss aus »relativer Nähe« deuten könnten. »There was no evidence of contact discharge or close-range firing«, heißt es in dem Bericht zu den anderen Toten.

2000/12 Die Farbbeutelwerferin Samira ein Jahr nach Beginn des Kosovo-Krieges

»Es hat den Richtigen getroffen«

Trillerpfeifen, Buttersäure und ein Beutel roter Farbe. Keine andere antimilitaristische Aktion erreichte letztes Jahr größere Aufmerksamkeit als die Proteste gegen den Kriegsparteitag der Grünen am 13. Mai in Bielefeld, der den ersten Feldzug mit deutscher Beteiligung seit dem Zweiten Weltkrieg legitimierte. Ein Jahr nach Beginn des Krieges sprach Jungle World mit Samira, die den Farbbeutel auf Fischer geworfen hat.